Wo der Aperol spritzt

von Valentin Götz

Die Berliner Barszene ist ein Garant für einen amüsanten Abend. Gerade Studierende fühlen sich in den Restaurants und Bars an und um die Kastanienallee zuhause. Doch wie führt der Weg aus der Krise?

Lautes Gewusel. Schallendes Gelächter, entspannte Stimmung. Der Alkohol fließt nicht nur in sämtliche Münder, er fließt auch daneben. Soeben hat die Kellnerin das Gleichgewicht verloren und kracht gegen einen der Tische. Gläser fliegen durch die Luft. Beinahe artistisch, ihr Versuch, das Chaos zu vermeiden. Im einen Moment noch köstlich amüsiert um den Tisch sitzend, so spiegelt sich im nächsten Augenblick der Schrecken in den Gesichtern der Gäste. Weit aufgerissene Münder und Augen. Wie in Zeitlupe fliegen die Gläser zu Boden, die Flüssigkeit schwebt in wilden Formen umher, bis sie abrupt an dem T-Shirt, eines Mannes strandet und das komplette Oberteil durchnässt. 

Kastanienallee, Berlin. Nirgendwo scheint die Hauptstadt im Frühsommer so aufzublühen, wie hier. Brechend volle Restaurants und Bars säumen die Straße. Die kulturelle Vielfalt Berlins ist allgegenwärtig. Viele Gespräche finden auf fremden Sprachen statt. Nicht nur die unzähligen Kneipen sind überfüllt, auch auf den Gehwegen wird ein Vorbeikommen zur Herausforderung. Einen Sitzplatz zu finden gleicht der Suche nach dem Ausweg aus dem Irrgarten. 

Panik vor Corona – die sucht man hier vergeblich! Auch Freddy Fedora vom Engelberg sieht das so: „Wenn hier Zehnergruppen aufschlagen, hält sich niemand mehr an die Abstandsregeln.“ Aufwändig hat sich das Engelberg für die Wiedereröffnung nach dem Lockdown vorbereitet. Die Tische stehen mindestens eineinhalb Metern auseinander, um den vorgegebenen Sicherheitsabstand zu erfüllen. Doch wenn große Personengruppen erscheinen, schieben die Gäste die Tische schnell zusammen und Fedora kann nur hilflos dabei zusehen. Ein Eingreifen ist trotz der gesetzlichen Vorgaben sinnlos.


Unter normalen Umständen macht das Engelberg sein Hauptgeschäft zur Frühstückszeit. Leckere Kuchen oder deutsche Spezialitäten, wie Weißwürste, stehen auf der Karte. Ein beliebter Treffpunkt für Studierende, um das morgendliche Frühstück in gediegener Atmosphäre zu genießen. Doch nicht zur Zeit. Mit der Corona-Krise wurden die beiden fest angestellten Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Die studentischen Aushilfskräfte stehen ganz ohne Job da. Um mehr Umsatz zu machen, öffnet das Lokal auch in den Abendstunden – vor Corona war um 18 Uhr Schluss. Miete fällt keine an, weil das Lokal in eigener Hand ist. Fedora selbst ist froh, dass sie wieder arbeiten darf und dass etwas Geld in die Kasse fließt. Die Gäste erfreuen sich, dank der längeren Öffnungszeiten, vor allem an kühlendem Wein, erfrischendem Bier oder hausgemachtem Aperol Spritz. Während der Krise habe die 29-Jährige, die sich selbst als “Aushilfs-Chefin” bezeichnet, zwei Monate lang kein Geld verdient.

Ihre Stammgäste konnte sie zwar behalten, aber während der Corona-Pandemie sei die Gastronomie ein hartes Pflaster.

Nickend prostet ihr Marco zu. Der 23-Jährige Jurastudent zählt zu den Stammkunden des Engelbergs. Auch er lässt es sich nicht nehmen, den Abend gemeinsam mit seinen Freunden ausklingen zu lassen. Er käme momentan fast jeden Abend auf ein Feierabendbier und ein Kartenspiel in das Lokal, bevor am nächsten Tag der Uni-Alltag wieder los gehe, erzählt er. Fußläufig zehn Minuten entfernt, hat die Bar für ihn die optimale Lage. Wenn es zeitlich eng wird, schwingt er sich kurz auf sein Fahrrad, um in Windeseile zu den gemütlichen Außensitzplätzen des Engelbergs zu fahren. 

Wegen der unmittelbare Nähe zum Mauerpark, herrscht hier normalerweise reges Treiben, Studenten oder junge Familien gehören zur Kernzielgruppe. Doch auf diese Laufkundschaft musste das Engelberg bisher verzichten. Nicht selten leben die Restaurants und Bars im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg von der Flut deutscher Touristen, die nach einem Besuch auf dem Mauerpark-Flohmarkt noch etwas trinken gehen wollen. Doch da der Trödelmarkt bisher noch nicht in seiner vollen Größe wiedereröffnet hat, bleiben auch die Touristenschwärme aus. Allgemein zähle das Engelberg im Moment weniger Gäste als vor der Krise, so Fedora. Auch haben sich die Betriebszeiten verschoben. Normalerweise seien die Straßen an den Wochenenden brechend voll, nun verlagere sich alles auf die Wochentage. 

„Die Leute haben Zeit. So viel, wie noch nie und sie wollen etwas erleben! Von Corona lässt sich hier Niemand aufhalten“, berichtet Fedora. Eine zweite Welle sieht sie skeptisch. Von der Liste, durch die der Gesetzgeber den Kontaktweg bei Neuinfektionen verkürzen will, hält Fedora nicht viel. Einige tragen falsche Namen oder Nummern ein, weil sie die persönlichen Daten nicht preisgeben wollen. „Komisch, Daniel Radcliffe… den hätte ich doch erkannt, wenn er mir gegenüber gestanden hätte…“, grübelt sie, während sie die Liste abgleicht. Dass es den Kommunikationsweg erschwert, scheinen viele nicht zu begreifen. Bei ihr trifft das auf Unverständnis. „Nicht einmal die Promis, die hier vorbeikommen, sind so dreist!“, bemerkt Fedora verärgert. 

Die Gastronomie ist ein wichtiges Standbein dieser Gesellschaft.
Dass den Besitzern mit der Wiedereröffnung nach der Krise eine Last von den Schultern genommen wurde, steht außer Frage. Dennoch gilt der Appell an alle, weiterhin vorsichtig zu sein und den Vorschriften des Gesetzgebers zu folgen, um eine zweite Welle zu verhindern. Denn es hängt nicht nur das eigene Leben davon ab, sondern auch das Überleben der Gastronomie.