von Julian Weingardt
Nach draußen gehen war gestern. Warum auch, heute ist die virtuelle Realität im Trend und sie erhält Dank Corona großen Zulauf. Ist sie ein Mehrwert fürs Leben oder doch eine Flucht aus der eigenen Realität? Ein Blick in eine ferne, aber doch so nahe Welt.
Ein vorsichtiger Blick um die Ecke. Das alte verlassene Haus bereitet ihm Sorgen. Es ist beunruhigend still. Nur der Wind streift die Blätter der großen Eiche, die ein optimales Versteck bietet. In einem Schwung reißt er sich los und tritt die Tür des Hauses ein. Instinktiv zückt er die Pistole. Sein Herz pocht, doch zielsicher betätigt er den Abzug. Peng, die Kugel fliegt direkt in den Kopf des Zombies. „Headshot“ ruft er und seine Sorgen verfliegen. Doch dann ist alles schwarz. Genervt setzt er seine Virtual Reality-Brille ab. Sven Petri, sein richtiger Name lautet anders, ist ein 20-jähriger FOS Absolvent aus Frankfurt und will den ganzen Abend sein neues VR-Spiel testen.
Doch sein Internet macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Blöd gelaufen, dann wird halt Xbox, Playstation oder Wii gespielt. Konsolen habe er fast alle, denn für Petri ist die virtuelle Realität etwas ganz Besonderes. „Es ist genial, dass ich mit Spielekonsolen in eine andere Welt eintauchen kann, in der meine menschlichen Attribute keine Rolle spielen.“
Petri ist bei weitem kein Einzelfall. Immer mehr Menschen flüchten in die Welten von Computerspielen und greifen zu Konsolen. Besonders neue Entwicklungen machen Gaming für viele attraktiver, denn durch die VR ist es möglich, nicht nur zweidimensional mit einer virtuellen Welt zu interagieren, sondern sich direkt in die Welt hinein zu begeben. Blickrichtung und Körperbewegungen werden erfasst und in die virtuelle Welt übertragen. Der Spieler hat immer die Kontrolle darüber, wie er sich in der virtuellen Welt bewegt.
Laut Fabian Kober, Gameplay Programmierer bei Crytek in Frankfurt, ist die VR eine Möglichkeit, auf effektive Weise der realen Welt zu entfliehen. Der Spieler habe die Möglichkeit, mit Computerspielen von Stress, Arbeit oder Langeweile abzulenken. Er glaubt aber nicht, dass VR allzu bald das klassische Gaming ablösen wird. Auch wenn die Technologie besser werde, gebe es einen weiteren, nicht zu verachtenden Aspekt von VR. Man habe ein relativ klobiges Headset auf, unter dem einem schnell warm werde. Schwindelgefühle und Desorientierungen können bei längeren Anwendungen auftreten. Kober sagt: „Meiner Erfahrung nach haben die meisten Leute nach einer Session von einer halben Stunde erst einmal genug. Es ist anstrengend für die Augen und man muss sich viel bewegen.“ Zugleich sieht Kober auch eine Gefahr, denn Videospielsucht ist ein Problem.
Petri zum Beispiel verbringe jeden Tag bis zu 14 Stunden in Computerspielen. „Wenn ich ein Spiel anfange, möchte ich auch der Beste sein und das kostet halt viel Zeit.“ Er könne jederzeit aufhören, für süchtig hält er sich nicht. Freunde treffe er jedoch nur noch online und Zukunftsperspektiven habe er noch keine. Jetzt konzentriere er sich erst einmal auf sein neues Computerspiel.
Neue technische Entwicklungen können neben dem Gaming auch viele Alltagssituationen revolutionieren. „Menschen könnten die virtuelle Realität als Mehrwehrt für ihr Leben nutzen. Es wäre möglich, virtuell zu verreisen oder risikofreie Jobtrainings fürBerufe mit Unfallgefahr anzubieten“, sagt Kober. Er selbst habe schon an einigen VR Projekten gearbeitet und sieht keine Grenzen in den Einsatzmöglichkeiten. „Der Heilige Gral der VR Technologie ist das Star Trek Holodeck“, sagt Kober. „ Es spricht alle Sinne an, ermöglicht vollkommen freie Bewegung und man erkennt keinen Unterschied zur realen Welt, es ist absolute Immersion.“ Davon sei die Menschheit jedoch noch weit entfernt.
Doch der Markt boomt. Firmen wie Sony, Oculus oder Valve kommen stets mit neuen Entwicklungen und verbesserter Technik auf den Markt. Gerade auch in der Corona-Zeit, wenn die Arbeit von zu Hause aus zum Alltag wird, erlangt die virtuelle Realität für viele Unternehmen an Bedeutung. Sie liefert eine gute Möglichkeit, Zeit und Geld zu sparen. Diese Chance hat auch ein Industrieunternehmen aus Offenbach genutzt. Die Maschinen der Firma werden in Tschechien hergestellt und während des Reiseverbotes konnte keine Warenkontrolle stattfinden. „Also hat man sich VR Brillen zugelegt und einfach eine virtuelle Abnahme an den Maschinen durchgeführt“, so ein Mitarbeiter des Unternehmens. Dies sei sehr effizient, da weder Reisekosten anfallen würden noch ein großer Zeitaufwand stattfände. „Vor Corona hat niemand hier die virtuelle Technik in Betracht gezogen, jetzt finden es alle super und es wird zukünftig weitergeführt.“
Die Technik der virtuellen Realität ist vielseitig einsetzbar und kann Lebenssituationen erleichtern und verbessern. Die unbegrenzten Möglichkeiten in der OnlineWelt und die damit einhergehenden Suchtfaktoren können jedoch viele Menschen dazu verführen, in der virtuellen Welt leben zu wollen. Jetzt stoßen Wissenschaftler noch an technische Grenzen, doch zukünftig könnte es anders aussehen. Denn wer weiß, vielleicht wird schon bald das Star Trek Holodeck Wirklichkeit sein.