Stresstest für die Nerven

von Frauke Ruthemann

Der Lockdown schloss die Türen fast aller Geschäfte – jetzt öffnen sie wieder. Langsam entspannt sich die Lage. Doch die Shopping-Freude ist getrübt. 

Eine hochschwangere Frau steht in der langen Warteschlange vor einem Modegeschäft. Unter dem geblümten Sommerkleid zeichnen sich die Umrisse ihres großen, runden Babybauchs ab. Erfolglos versucht sie, sich frische Luft mit den Händen zuzufächeln. Die Mittagssonne strahlt erbarmungslos auf die Köpfe der wartenden Menschen in der Frankfurter Innenstadt. Schweißperlen bilden sich unter der Maske. Es ist Corona-Sommer. 

Vor drei Monaten hat die Pandemie die Wirtschaft in allen Ländern auf den Kopf gestellt. Die Kauflust der deutschen Haushalte war im Mai so niedrig wie noch nie, laut Marktforschungsinstitut GFK. Viele Ladenbesitzer und Verkäufer wussten lange nicht, wie die nächsten Wochen ablaufen werden. Jetzt atmet Deutschland auf – auch wenn das unter der Maske schwer fällt. Die Geschäfte haben wieder länger geöffnet. Immer mehr Kunden dürfen sich gleichzeitig in einem Gebäude aufhalten. Nur die Maskenpflicht und die Abstandsregelungen bleiben zunächst bestehen. Die angehende Studentin Dorothea Gäsner stört das nicht. „Ich kann die Regeln verstehen. Die Gesundheit geht zurzeit vor“, sagt sie. Dennoch schrecken sie die teils meterlangen Menschenschlangen vor den Geschäften ab: „Auf neue Kleidung möchte ich aber nicht verzichten. Deshalb kaufe ich viel online.“ 

Dass die Menschen vermehrt im Internet shoppen, macht sich auch bei den Umsätzen der Modeläden bemerkbar. Im April haben sie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bis zu 70 Prozent weniger Umsatz gemacht. Das zeigt eine Statistik des Statistischen Bundesamts. Die Filialleiterin von Zara Frankfurt, Zeliha Nasser, sieht der Zukunft dennoch gelassen entgegen. „Wir haben starke Verluste gemacht. Aber unsere neue Kollektion ist der Wahnsinn. Ich denke, dass wir wieder alles aufholen können“, sagt sie optimistisch. 82 Kunden dürfen im Laden sein. Gezählt wird am Eingang mit einem IPod und einer zuverlässigen Zähl-App. Eine Maske muss jeder tragen. Das wird auch kontrolliert. Wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus. Laut Nasser passiert das vor allem an den Haupteinkaufstagen Freitag und Samstag. Die junge Filialleiterin ist froh darüber, dass

die meisten Kunden die Vorschriften einhalten. Um den Mund-Nasen-Schutz kommen auch die Mitarbeiter in den Geschäften nicht herum. Während manche Menschen mit Bürojob im Home Office sind, müssen sich die Verkäufer durch einen anstrengenden Berufsalltag quälen. Genervte Kunden, die sich nicht an die Vorschriften halten, sind da keine Hilfe. Niklas ist Angestellter bei dem Modeladen Hollister. Der 25-Jährige steht am Eingang und winkt die Kunden herein. Dabei hat er immer einen Blick auf den Zähler. Denn nur 23 Menschen sind im Laden erlaubt. Die Zahl wird durch die Größe der Geschäftsfläche festgelegt. So steht er also tagtäglich an der Tür und bietet den Menschen Desinfektionsmittel für die Hände an. Gleichzeitig tippt er auf einem Gerät ein, wenn jemand den Laden verlässt oder betritt. 

Manch einer ist froh, wenn er die Maske nach einem 20-Minuten-Einkauf wieder absetzen kann. Niklas jedoch trägt sie jeden Tag stundenlang. „Die eigentlich leichte Arbeit fällt mir so viel schwerer. Schon nach kurzer Zeit bekomme ich Schmerzen hinter den Ohren von den Gummibändern der Maske. Meine weiblichen Kollegen haben oft Kopfschmerzen. Daran gewöhnen tut man sich nie“, klagt der junge Mann. Eine gute Sache hat das Ganze jedoch für Niklas: Wenige Kunden bedeuten ein bisschen Entspannung. 

Entspannung tritt auch bei der Zahl der Infizierten ein. Deshalb passen die Bundesländer die Vorschriften fortwährend der aktuellen Situation an. Teilweise wurden schon viele Regeln aufgehoben, sodass die Bürger einem normalen Leben immer näher kommen. In Hessen ist es derzeit, Stand Ende Juni, nur erlaubt, sich in einer Gruppe bestehend aus zehn Personen zu treffen. Während Wissenschaftler nach einem Impfstoff suchen und Politiker beraten, beginnt die Wirtschaft sich langsam von dem starken Einbruch zu erholen. Falls eine zweite Welle der Krankheit Deutschland treffen sollte, sind die Menschen besser vorbereitet. Allerdings wird ein Impfstoff frühestens Anfang nächsten Jahres erwartet. Bis dahin ist Geduld angesagt. Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und das Einhalten der Abstandsregeln werden uns wohl noch eine ganze Weile begleiten.