von Lilli Verbeek
Corona verschärft für viele Menschen die Probleme des Alltags: Wie Bedürftige auf Hilfe hoffen und Leute jeglicher Schichten und Altersgruppen zusammenkommen, um gemeinsam anzupacken.
Der Hausflur ist dunkel, die Tür öffnet sich nur einen ganz kleinen Spalt. Die ältere Dame wirft einen Blick auf die Frau, die geklingelt hat. „Was wollen Sie?“, fragt sie ängstlich, abweisend. Sie ist sich unsicher, ob sie den Spalt weiter öffnen soll. Dabei möchte die junge Frau nur ihre Hilfe anbieten. Sie geht einkaufen und fragt, ob sie ihrer 70-jährigen Nachbarin einen Gefallen tun kann. Die Tür knallt zu. Das Misstrauen der alten Dame siegt.
Die letzten Monate waren nicht einfach. Für niemanden. Die schnelle Ausbreitung des Corona-Virus hat massive Probleme und Veränderungen hervorgerufen. Menschen ab 60 Jahren zählen als besonders gefährdet zur Risikogruppe. „Ich glaube nur, dass viele ältere Menschen zu stolz sind, um um Hilfe zu bitten“, berichtet Christina. Die 21 jährige Studentin hat mittlerweile mehrmals für ihre ältere Nachbarin Besorgungen erledigt. „Ich musste sie nahezu überreden! Hilfsbedürftig zu sein ist für Niemanden ein gutes Gefühl, aber Sicherheit geht nun einmal vor.“ Viele Menschen haben große Hemmungen, Fremde um Unterstützung zu bitten. Sie sind mit der neuen Situation extrem überfordert.
Zum Glück gibt es Leute wie Noah Adler. Noah ist Schüler in der elften Klasse und kommt aus Berlin. Er sieht in seiner schulfreien Zeit die Chance, etwas für die Gemeinschaft zu tun. „Nachdem ich Mitte März erfahren habe, dass die Schulen schließen, stellte ich mir die Frage: Wie verbringe ich meine Zeit?“, erzählt er. „Ich wollte die bereits vorhandenen Facebook- Gruppen und Angebote systematisieren und ordnen. So setzte ich meine eigene Webseite auf.“ Mit zwei Spalten einer Wordtabelle. Unterteilt in Leute, die suchen, und welche, die ihre Hilfe anbieten. Coronaport ging am nächsten Morgen online. Das öffentliche Interesse kam kurz danach. Verschiedene Zeitungen fragten gespannt nach Interviews.
Das Prinzip ist einfach. Wie bei einem interaktiven Telefonbuch zeigt eine Karte die registrierten Helfer. Wer Hilfe benötigt, kann diese dann privat kontaktieren. „Von Teenagern bis ins Rentenalter sind beide Seiten reichlich vertreten. Ungefähr 6000 Helfer sind alleine in Berlin angemeldet“, so beschreibt Noah die Altersgruppen. Zu den
Angeboten zählen Kinderbetreuung, IT-Nachhilfe oder Einkäufe übernehmen. Was aber bringt die Zukunft? „Letztendlich muss man immer schauen, dass alles zweckmäßig bleibt. Die Lage entspannt sich gerade, trotzdem möchte ich in Zukunft, wenn die Nachfrage wieder steigt, die Seite weiter ausbauen.“ Umso beeindruckender, dass viele gemeinnützige Vereine ihre Hilfe anbieten und als Gemeinschaft anpacken. Die 2013 gegründete Obdachlosenhilfe Berlin e.V. unterstützt Woche für Woche Obdachlose. Mit Gabenzäunen, einer eigens eingerichteten Hotline, Ausgabe von Essen oder einer kleinen Geldspende. Mittwoch, Samstag und Sonntag verteilt jetzt jedoch nur noch das Kernteam warme Gerichte und Kleidung.
„Die Situation der Ausgangssperre war häufig belastend und viele Familien konnten die Unterstützung, die sonst durch Sonderpädagogen und spezielle Einrichtungen geleistet wurde, nicht im gleichen Maße ersetzen“, erzählt Lisa Hölzl. Sie macht ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Einrichtung, die Menschen mit geistiger Behinderung und deren Angehörige im Alltag unterstützt. „Durch Corona hat sich eigentlich alles verändert. Der Schulunterricht ist von dem einen auf den anderen Tag ausgefallen und das für einen längeren Zeitraum, als erwartet.“
Trotzdem sagt sie: „Besonders schön zu hören war es, wie viele Studenten sich bei der Tafel gemeldet haben. Obwohl die meisten mit ihrem Studium alle Hände voll zu tun hatten. Besonders soziales Engagement an Stellen, an denen man es nicht gleich erwarten würde, finde ich sehr bewundernswert. Das war für mich eine schöne Botschaft in einer Zeit, in der doch die negativen Nachrichten überwogen.“ Auch Christina gibt ihren guten Vorsatz nicht auf und klingelt erneut bei der misstrauischen Nachbarin. Wieder öffnet sich die Tür nur einen Spalt weit. „Sie schon wieder!“, sagt die Dame. Jedoch schon freundlicher. Christina hat in den letzten Wochen oft das Gespräch gesucht. Gerade als sich die Tür wieder langsam schließt, schiebt die Seniorin eine kleine Geldbörse durch den Schlitz. „Gerne ein paar Brötchen und Milch!“ So schafft es Christina doch noch, der Dame ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern.