Livestreaming – Fernsehen der Zukunft?

von Niklas Leistner

In den Zeiten des Lockdowns etablieren sich Livestreams als eine erfolgreiche Form der alternativen Freizeitgestaltung. Tausende von Streamern unterhalten Millionen von Zuschauern. Doch wie ist es, ein Streamer während einer Pandemie zu sein? 

Mit einem leisen Brummen fährt Nico, auf der Streaming-Plattform besser bekannt als „DerNico“ , seinen Computer hoch. Nach wenigen Sekunden leuchtet schon der erste der drei BenQ Monitoren auf, anschließend folgt der zweite und schlussendlich der dritte. Er öffnet das kostenlose Programm Open Broadcast Software. Nico nutzt es, um Live-Sendungen oder sogenannte „Livestreams“ direkt an seinem Computer zu produzieren, wie man es früher nur in professionellen Fernsehstudios konnte.

In aller Ruhe startet er auf dem ersten Monitor das populäre Spiel „Fortnite“. Monitor Nummer zwei wird genutzt, um den „Chat“ zu öffnen, sodass er in Echtzeit mit seinen Zuschauern sprechen kann. „Die direkte Kommunikation und Interaktion mit seinem Lieblingsstreamer macht Livestreamen erst zu dem, was es ist“, erklärt Nico das Phänomen und die Faszination dahinter. Dafür ist der Chat essentiell. 

Davon profitiert nicht nur der jeweilige Streamer, sondern auch Twitch. . Das Live-Streaming-Videoportal gehört seit August 2014 zu Amazon und wird vorrangig zur Übertragung von Videospielen genutzt. 51 Prozent der Nutzer sind zwischen 18 und 35 Jahren alt . Das Portal ist gerade für Studenten attraktiv, denn Amazon Prime ist für sie das erste Jahr kostenlos und es ist möglich, sein Amazonkonto mit Twitch zu verbinden. So sichern sich Zuschauer besondere Vorteile, wie beispielsweise ihren Lieblingsstreamer einmal im Monat kostenlos zu unterstützen, was in der Regel fünf Euro kostet.  

Auf seinem dritten und letzten Bildschirm öffnet Nico die Internetseite „tipeeestream“ und es zeigt sich ein Überblick über Spenden, Bits und Abonnenten. Dort können seine Follower Nachrichten zum virtuellen Geschehen schreiben. Nico hat bei bis zu 2000 Zuschauern nicht immer die Möglichkeit, auf jede einzelne Nachricht im „Chat“ einzugehen.

Er drückt auf den grünen Knopf in der unteren rechten Ecke des Programms „Auf Sendung gehen“. Wenige Sekunden später schreiben die ersten Nutzer „Moin“, „wie geht’s?“ oder auch „endlich wieder ein Stream“. Er lehnt sich zurück und begrüßt seine Follower. Ein markantes Geräusch ertönt und ein Bild mit einer Nachricht erscheint. „maxderweise“ hat Nico fünf Euro gespendet. „Feier deine Streams, mach weiter so.“ lautet die dazugehörige Mitteilung. Nico bedankt sich mehrfach und nimmt dann sein Gespräch mit dem Chat wieder auf.

Er erklärt: „Die Leute sind in keiner Weise dazu verpflichtet, mir Geld zu spenden. Das geschieht alles freiwillig und die Zuschauer können meinen Content auch komplett kostenlos verfolgen. Natürlich freue ich mich, wenn Leute mich unterstützen. Zudem kann ich den Erlös in die Verbesserung der Stream-Qualität investieren.“

Der Ablauf ist routiniert, als hätte sich Nicos Alltag während der Corona-Pandemie überhaupt nicht verändert. Er beginnt zu spielen. Nach etwa einer Minute schaut er nach rechts in den Chat: „Du bist schlecht! Man kann dir ja kaum zugucken!“ schreibt ein Zuschauer. Nach wenigen Sekunden wird die Nachricht von einem Moderator gelöscht. Nicos Augen wandern zurück zum ersten Monitor und seine Finger finden erneut den Controller. 

Moderatoren oder sogenannte „Mods“ können sicherstellen, dass der Chat den Standards des Streamers entspricht, indem sie anstößige Beiträge löschen. Nico sagt: „Man merkt auch, dass immer mehr Leute in meinem Chat sind, die nicht vertraut sind mit der Plattform und deren Regeln, sowie der angemessenen Sprache. Trotz eingeschränkter kommunikativer Freiheiten, nutzen immer mehr junge Menschen Twitch, um ihren Streamern zuzusehen. Auf diese Weise entwickeln sie eine gewisse Form des persönlichen Verhältnisses zu ihnen. So entstehen am Ende die höheren Zuschauerzahlen.“

Nico hat recht, die Livestreaming Plattform ist ein Gewinner der Corona-Krise. Noch im Februar konnte die 100.000er-Marke an gleichzeitigen Zuschauern in Deutschland nur an Wochenenden erreicht werden. Sonst bewegten sie sich zwischen 60.000 und 70.000. Seit Mitte März sind nun jeden Tag Werte über 100.000 die Regel. „Auch wenn man dann “Hater” im Chat hat, die nichts Sinnvolles beizutragen haben, sehe ich das dennoch sehr positiv. Ich bin der Meinung, dass Livestreams zu wenig Aufmerksamkeit erhalten haben“, schildert Nico enthusiastisch.

Streaming-Plattformen ermöglichen es, besonders in Zeiten wie diesen, dem Alltag zu entfliehen und für ein paar Stunden täglich abzuschalten. Corona hat vielen Leuten die Chance gegeben, sich mit Livestreaming vertraut zu machen. Es fungiert als eine neue Konstante im Leben vieler Studierender und dennoch ist jeder Stream anders. Im Unterschied zum Fernsehen, in dem oftmals mehrfach der gleiche Blockbuster ausgestrahlt wird, lebt Streaming von der Vielfalt und Einzigartigkeit der Streamer.