Totentanz in Berliner Clubs

von Fabrice Gazzo

Die Corona-Krise verordnet Stillstand statt Party: Wie Berliner Clubbesitzer und DJ’s ums Überleben kämpfen.

Es herrscht eine traurige, fast gespenstische Stille. Der klebrige Boden, sonst voller Scherben und Zigarettenstummeln, ist ungewöhnlich sauber. Wo hunderte Jacken und Taschen hingen, baumeln nur noch leere Bügel. Keine mitreißende Musik ist zu hören, kein Mensch steht Schlange vor dem Eingang, Türen bleiben verschlossen. Die Orte des Teilens und der Geselligkeit haben dicht gemacht, die grosse Frage ist: bis wann?

Seit Mitte März, dem Beginn des „Corona Lockdowns“, sind alle Clubs geschlossen und sämtliche Veranstaltungen abgesagt. Wo vor ein paar Monaten noch lauter, schneller Techno gespielt wurde und Menschenmengen im Takt zu den Bässen „gestampft“ haben, herrscht jetzt Stille.
Aber nicht die erleichternde Stille, die man nach einer langen Nacht im Club genießt. Berlin, das nicht ohne Grund ganz oben steht, wenn man über elektronische Musik oder die „Feierszene“ redet, ist die Bühne für die Karriere vieler DJs. Ein Auftritt in Berlin ist für sie ein großes Highlight, ein „Muss“. Jetzt stehen viele DJs und Club-Besitzer vor dem Aus. „Angst um meine Zukunft habe ich auf jeden Fall. Ich lebe ja nicht nur für mich, sondern auch für mein Kind zuhause“, sagt Maurice Mino. Nach sechs Jahren des Pendelns zwischen seinem 30-Stunden Job, den nächtlichen Auftritten und der Betreuung seiner Tochter, arbeitet Maurice selbständig als DJ. Der junge Vater hatte erst zwei Wochen vor den Ausgangsbeschränkungen den großen Schritt geschafft.
“Ist zeitlich gesehen echt eine ziemlich dumme Entscheidung gewesen. Alle Auftritte und Möglichkeiten, die ich hatte, um Geld zu verdienen, sind weg”, so Maurice. Für Vollzeit-DJ’s sind Auftritte die einzige Geldquelle, die ihnen zur Verfügung steht.

Clubbesitzer leben ebenfalls von den Veranstaltungen, die sie anbieten, dementsprechend auch von den gebuchten DJs. Eine ganze „Nahrungskette“ ist unterbrochen, geht kaputt. Trotz Hilfspaketen der Bundesregierung für Freiberufler im künstlerischen Bereich, es musste schnell nach Alternativen gesucht werden – Live Streams. Das Konzept: Clubatmosphäre ins Wohnzimmer bringen. Die „Clubcommission Berlin e.V.“ und der „Reclaim Club Culture“, in Zusammenarbeit mit „ARTE Concert“, haben die Plattform „unitedwestream.berlin“ gegründet. Die Aktion ist eine Reaktion auf den Berlinweiten Shutdown aller Kulturorte aufgrund der Coronapandemie. DJ’s streamen aus leeren Clubs Musik live im Internet, teils direkt beim Sender „Arte“. Mit Spendenaktionen sammeln sie Geld für Clubs, die von der kompletten

Schließung bedroht sind. Doch anders als im „analogen“ Club, ist der Eintritt frei. Jeder kann selbst entscheiden, ob und wieviel er spenden möchte. Das hat den Vorteil, die so genannte Reichweite im Netz und die Sichtbarkeit zu erhöhen, aber die finanzielle Abhängigkeit von den einzelnen Spendern ist gross. 

Maurice Mino hat mit seinem Kumpel und DJ Partner SinPort (Tim) ein eigenes Projekt gestartet: “Balcony Sessions”. Die zwei haben von ihren Balkonen aus Musik live übertragen. Doch Maurice wusste von Anfang an, dass das keine handfeste Alternative zu seinem Beruf ist. Noch viel weniger eine Einkommensalternative. “Die ganze Arbeit aufzurechnen gegen das, was am Ende rumkommt an Reichweite und Co, hat sich nicht rentiert. Das, wofür wir uns in die Nächte reingestürzt haben, sollte nicht verloren gehen. Das war der Grundgedanke. Die Musik irgendwie trotzdem hoch zu halten, auch wenn’s nur online ist.” 

Projekte wie “United we stream” oder die “Balcony Sessions”, haben dafür gesorgt, die Berliner Clubszene so gut wie möglich mit dem Kopf über Wasser zu halten. Die Reichweite der Projekte, die Vielfalt und Einzigartigkeit der Berliner und der internationalen Clubszene haben sich erhöht. Zugleich sind sie aber auch ein Notruf. Diese Projekte, trotz guter Logistik, Organisation und der Solidarität, die sie eint, sind keine  Alternativen auf Dauer. 

Schnell zeigte sich ein Überangebot an Livestreams. Das hatte zur Folge, dass es für die einzelnen Angebote zu wenige Zuschauer, und vor allem zu wenig Spenden gab. Maurice zieht ein ganz persönliches Fazit: „Die Zeit dafür zu opfern, das ist ok. Es schadet mir nicht und ich guck‘ parallel was passiert. Aber die Clubs sind immer noch nicht offen und ich muss Geld verdienen.“

Denn Kontakt-Einschränkungen können beim Feiern nicht ausreichend eingehalten werden. Clubs können zu Verbreitungsherden des Virus werden, auch Freiluftveranstaltungen sind nicht risikofrei. Maurice steht  für viele in der Club-Szene. Sie fragen sich,  ob es ausreicht, einfach auf den Impfstoff zu warten. Die einzige Lösung, die nachhaltig und jeden zufrieden stellen würde, wäre das Ende der Pandemie. Doch das ist noch lange nicht in Sicht. Die Situation bleibt schwierig. Die meisten DJs und Clubbetreiber verstehen die Gründe für die Schließung. Aber dennoch müssen sie wieder arbeiten können, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und ein Berliner Sommer ohne Musik und ohne Tanzen ist – nicht nur für sie – unvorstellbar.