Nachrichtenmüdigkeit: Sind die Medienschaffenden schuld?

Die Flut an schlechten Nachrichten belastet und überfordert vor allem junge Menschen zunehmend. Welche Verantwortung der Journalismus dabei trägt und welche Möglichkeiten er hat, diesem Dilemma zu entkommen, erzählt Prof. Dr. Ranty Islam. Er ist Digitalanthropologe und Journalist – aktuell beschäftigt er sich vor allem mit konstruktivem Journalismus und der Rolle von Empathie in neuen journalistischen Konzepten und Medienformaten.

Herr Prof. Islam, verbreiten die Medien zu viel Panik?

Nein, das ist ein bisschen komplizierter. Die Medien werfen einen selektiven Blick auf die Realität. Sie stellen heraus, was in der Welt nicht gut läuft, und wollen darüber berichten. Das war in der Vergangenheit nicht anders – wenn Krieg ausgebrochen ist, Unglücke passiert sind oder es politische Probleme gab, hat man natürlich immer darüber berichtet. Was jetzt neu ist, ist die Tatsache, dass das Weltgeschehen in den sozialen Medien omnipräsent ist. Damit sind nicht nur die offiziellen Seiten der etablierten Medien gemeint. Das Problem sind vor allem die entsprechenden Echokammern, die Nachrichten einfach weitertragen. Das hat zur Folge, dass wir einer Dauerflut an – oft negativen – Nachrichten ausgesetzt sind. Und das führt zu Belastung.

Welche Verantwortung trägt der Journalismus dabei? Gibt es Möglichkeiten, diese Belastung zu minimieren?

Eine Grundvoraussetzung ist erstmal ein Bewusstsein bei den Medienschaffenden. Ein Bewusstsein dafür, dass die Überforderung mit schlechten Nachrichten überhaupt ein Problem ist. Und daraus sollte dann die Erkenntnis folgen, dass die Journalist:innen nicht einfach so weitermachen können wie bisher. Die Umstände haben sich, vor allem durch soziale Medien, geändert. Deshalb können Medienschaffende nicht nur über das berichten, was sie für relevant halten. Und das passiert schon, es gibt also Möglichkeiten. Plan b vom ZDF ist ein gutes Beispiel. Das Format zeigt nicht einfach nur gesellschaftliche Probleme, sondern fokussiert sich auf konstruktive Ideen und mögliche Lösungen.

Wir haben es in der Vergangenheit beispielsweise bei Corona gesehen: Die Medien haben logischerweise über aktuelle News berichtet, aber selbst eine neutrale und sachliche Berichterstattung bereitete vielen Menschen Sorgen. Wie sollten die Medien mit langfristigen Krisen umgehen?

Man kann eine schlechte Situation nicht gut machen, das ist klar. Aber Journalist:innen haben die Wahl, auf welche Art und Weise sie über ein Thema berichten. Das heißt zum Beispiel, dass es in einem Kontext wie dem Ukraine-Krieg immer Menschen und Entwicklungen gibt, die ausloten, was selbst in so einer aussichtlos erscheinenden Situation möglich ist. Eine Kernaufgabe des Journalismus ist es, das sichtbar zu machen. Es gibt schon seit einiger Zeit wissenschaftliche Hinweise darauf, dass allein die Präsenz von Lösungsmöglichkeiten die Gesamtwahrnehmung eines ansonsten sehr negativ behafteten Nachrichtenthemas deutlich beeinflussen kann. Im Zuge der Kriegsberichterstattung können das beispielsweise Locals vor Ort sein, die den Dialog suchen, oder einzelne Soldaten, die die Seiten gewechselt haben. Es können also schon ganz kleine Sachen sein, die große Auswirkungen haben. Weil sie den Leuten, die weit weg sind, klarmachen, dass es nicht so negativ und einseitig ist, wie wir dachten. Krieg ist und bleibt natürlich ein schreckliches Thema, es geht hier um kleine positive Facetten bei der Berichterstattung. Das ist ein ganz wichtiger Impuls des konstruktiven Journalismus, der grundsätzlich die Wahrnehmung von negativ behafteten Themen verändern kann. 

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„Es gibt schon seit einiger Zeit wissenschaftliche Hinweise darauf, dass allein die Präsenz von Lösungsmöglichkeiten die Gesamtwahrnehmung eines ansonsten sehr negativ behafteten Nachrichtenthemas deutlich beeinflussen kann.“

Ranty Islam

Die Ergebnisse des bereits erwähnten Digital News Reports zeigen weitere Gründe für Nachrichtenmüdigkeit. Einige der befragten jungen Menschen haben ausgesagt, dass sie mit den Nachrichten nichts anfangen zu können und es oft schwierig finden, sie zu verstehen. Welche Verantwortung trägt hier der Journalismus?

Was das betrifft, hat der Journalismus keine neue Verantwortung. Hier spielt eine Verantwortung eine Rolle, die er schon immer hatte: eine Brücke zwischen Zielgruppe und Nachricht bauen. Und das ist heutzutage schwieriger als früher, weil die Medienschaffenden mittlerweile altersmäßig und sozial stark von denen abweichen, die Medien konsumieren. Und der Verantwortung, bei dieser Veränderung mitzugehen, ist sich der Journalismus teilweise schon bewusst. Das sieht man beispielsweise bei vielen etablierten Medien, die vor allem in den sozialen Medien nicht nur ihre gängigen Formate zweitausstrahlen, sondern extra zielgruppenentsprechende Social-Media-Formate machen. Das ist dann auch nichts, was beispielsweise bei der Tagesschau läuft, sondern nur auf Instagram und TikTok ausgestrahlt wird. Da ist dann die Selektion der Themen, die Herangehensweise, das Narrativ und die Bildsprache eben an junge Menschen angepasst. Wie erfolgreich das ist, ist noch nicht klar, weil es noch zu neu ist. Aber es ist auf jeden Fall ein vielversprechender Ansatz, der momentan ziemlich gut angenommen wird.

Nachrichten vielseitig und im besten Falle noch zielgruppenorientiert aufzubereiten, erfordert mehr Ressourcen, als eine Nachricht einfach nur wiederzugeben. Wie soll das in den Redaktionen funktionieren?

Das ist auf jeden Fall ein Dilemma, in dem sich der konstruktive Journalismus befindet. Finanziell, zeitlich und personell müssen mehr Ressourcen bereitgestellt werden, um Komplexität in den Nachrichten gewährleisten zu können. Das ist natürlich in der Praxis nicht einfach so umsetzbar. Deshalb ist aktuell eine Überlegung, ob ein Teil dieser zusätzlichen Arbeit durch Künstliche Intelligenz abgefangen werden kann. Wenn wir uns klarmachen, dass ein Großteil von dem Kontext, der zur Einordnung eines Themas im konstruktiven Journalismus wichtig ist, nur die kuratierte Bereitstellung von bereits existierenden Informationen ist, dann ist es naheliegend, KI miteinzubeziehen. Wenn wir den Ukraine-Krieg als Beispiel nehmen, geht es da beispielsweise um Fragen wie: Wer sind die Akteure? Wie ist die Vorgeschichte? Diese Informationen kann eine KI zusammenstellen. Das Ergebnis muss dann natürlich noch in der Redaktion gecheckt werden, aber es spart den Redakteur:innen eine Menge Recherche und lässt Ressourcen für individuelle Ideen und Ansätze.

Wenn wir uns klarmachen, dass ein Großteil von dem Kontext, der zur Einordnung eines Themas im konstruktiven Journalismus wichtig ist, nur die kuratierte Bereitstellung von bereits existierenden Informationen ist, dann ist es naheliegend, KI miteinzubeziehen.“

Gibt es konkrete Angebote, die du „nachrichtenmüden“, jungen Menschen empfehlen würdest?

Es gibt inzwischen sehr, sehr viele sinnvolle Angebote, die ich hier jetzt nicht alle aufzählen kann. Generell haben Podcasts großes Potenzial, weil sie einen Konversationscharakter haben und in Gesprächen selbst anspruchsvolle Nachrichten vereinfachen und anschlussfähig machen können. Wenn wir eine Konversation von anderen mithören, können wir gar nicht anders, als da mental mitzugehen. „Lage der Nation“ zum Beispiel ist zwar nicht speziell auf junge Menschen ausgerichtet, ist aber vor allem deshalb so erfolgreich, weil in dem Podcast die Nachrichten in Form von Konversationen dargestellt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass Podcasts aufwandslos im Hintergrund mitlaufen können.

„Only bad news are good news“. Wieso sind positive Nachrichten keine good news?

Wenn man die Medienschaffenden fragt, die beispielsweise Boulevardjournalismus machen, oder auch SEO-optimierten Content, dann ist der Grund: Schlechte Nachrichten generieren Aufmerksamkeit und somit Klicks. Dass den Menschen Negatives relevanter als Positives erscheint, hat einen evolutionären, psychologischen Hintergrund. Plakativ lässt sich das so erklären: Vor 100.000 Jahren war es für die Menschen wichtiger zu wissen, dass hinter ihnen ein Säbelzahntiger steht, als zu wissen, dass hinter ihnen kein Säbelzahntiger steht. Informationen über Gefahren haben das Überleben gesichert. Und das ist bis heute in uns verankert und macht schlechte Nachrichten für uns so interessant. Inhaltlich-konzeptionell ist es aber keinesfalls so, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind.

Liesa Wölm ist News-Redakteurin bei t-online, beschäftigt sich also in Vollzeit mit schlechten Nachrichten. Wie sie mit dieser Belastung umgeht und was sie macht, wenn es mal besonders heftig wird, hat sie hier im Interview erzählt.

Autor

  • Jolanda Ost

    Geboren in Düsseldorf, hat Jolanda in Köln nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Leidenschaft für den Journalismus gefunden. Am liebsten schreibt und spricht sie über vegane Ernährung und Frauengesundheit.

1 Kommentar zu „Nachrichtenmüdigkeit: Sind die Medienschaffenden schuld?“

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