Ein Vergleich der medialen Präsenz ukrainischer und syrischer Geflüchteter zeigt: es gibt große Unterschiede in der Berichterstattung westlicher Medien
2022 markiert eine Wende: Nach jahrelanger Abschottungspolitik erklärt sich Deutschland bereit, unbegrenzt ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Geflüchtete aus der Ukraine genießen ungewöhnliche Privielegien. Zum Beispiel haben sie die Chance, auch ohne einen Sekundarschulabschluss in Deutschland ein Studium aufnehmen zu können. Und sie können während des laufenden Semesters in ein Studium einsteigen.
Im Jahre 2015, als in Folge des Krieges in Syrien mehr als eine Million Menschen nach Europa flüchteten, war das ganz anders. Die Medien berichteten damals von einer „Flüchtlingswelle“ und bezeichneten Geflüchtete als „Asyltouristen“. Generell war die mediale Resonanz auf Geflüchtete aus Ländern wie Somalia, Syrien oder Afghanistan eher negativ. Armin Laschet, andere Unionspolitiker*innen und die AfD äußerten äußerten sich noch 2021 in dem Sinne, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe.
Für Ukrainer*innen wurden Massenzustrom-Richtlinien aktiviert, die ihnen besonderen Schutz und besondere Möglichkeiten gewähren. 2015, als die Situation der außereuropäischen Geflüchteten nicht weniger schlimm war, gab es diese Richtlinien nicht.
Durch diese Differenzierung in der Behandlung der Geflüchteten entsteht eine Klassifizierung. Aber warum werden solche Unterschiede gemacht?
Personen der deutschen weißen Mehrheitsbevölkerung scheinen einfacher eine Solidarität mit weißen, christlichen Ukrainer*innen zu empfinden, als mit Geflüchteten aus dem westasiatischen oder afrikanischen Raum. Internalisierter Rassismus und Stigmatisierung von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Menschen ist fest im Alltag verankert – auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Im Zuge dessen wird ein Konstrukt des „Wir“ und „der Anderen“ aufgestellt, „Othering“ entsteht. „Othering“ beschreibt die Abgrenzung einer Gruppe oder Person von einer für sie andersartigen oder fremden Gruppe.
In den Medien kursieren einige Videos von Politiker*innen und Journalist*innen, die Geflüchtete klassifizieren. Es folgen einige der vielen Beispiele:
„Sie behandeln Tiere besser als schwarze Männer und Frauen.“, das ist die Aussage eines Studenten aus der Ukraine mit nigerianischen Wurzeln im Interview mit einem Welt-Reporter.
In der Sendung Hart aber fair beurteilten Expert*innen den Krieg in der Ukraine, im Gegensatz zu Kriegen in anderen Ländern, als besonders schlimm. Sie begründeten dies mit Aussagen wie „Unser Kulturkreis ist betroffen.“ und „Es sind Christen.“.
Ex-Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze berichtet bei der British Broadcasting Corporation (BBC), dass es besonders emotional für ihn sei, weil „Europäer mit blauen Augen getötet werden“.
Bei einer Demonstration in Berlin spricht der Aktivist Christoph Bautz von einem Angriff auf „die zivilisierte Welt“. Damit bezeichnet er im Umkehrschluss Kriege in Afrika oder Westasien als weniger schlimm und die von dort kommenden Migrant*innen als unzivilisiert.
Derartige Vorkommnisse bestätigen die Klassifizierung und den Rassismus innerhalb dieser Gesellschaft. Medienhäuser, die solche Aussagen zulassen und ihnen einen Raum geben, positionieren sich.
Unterschiedliche Kriegsberichterstattung
Warum die Berichterstattung über Kriege sehr unterschiedlich sein kann und wie sich dadurch die Perspektiven verschieben, dazu kann Baran Datlı einiges sagen. Er ist freier Journalist und hat in einem Interview mit „Perspektive : Journalismus“ über die Berichtserstattung westlicher Medien gesprochen. Seine Schwerpunkte sind unter anderem asymmetrische Kriegsführung und Westasien. Als Journalist recherchierte und fotografierte er bereits in der Türkei, Syrien, Irak und Iran. Er schrieb unter anderem für die taz, Vice und den Spiegel und hat 2022 gemeinsam mit Anton Stanislawsk den deutschen Hörbuchpreis für den Podcast „Hannes soll kein Russe werden“ erhalten.
Beim GLOBAL MEDIA FORUM in Bonn erklärte sich auch Suleiman Tadmory zu einem Interview bereit. Sulaiman saß während des Krieges jahrelang in der syrischen Stadt Homs fest. 2015 gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er heute als Journalist arbeitet. In mehreren Dokumentationen, unter anderem bei STRG_F berichtet er über das Leben zwischen Trümmern und seine Flucht.
Baran Datlı ©Lena Haag, Sulaiman Tadmory ©Rojda Çomak, Rojda Çomak ©Melina Gramsch
„Weil es so nah ist, ist es deutlich präsenter“
Während des Ukraine-Kriegs fiel eines sehr stark auf – die Solidarität der Deutschen. Diese ist richtig und wichtig, doch warum solidarisieren sich viele Deutsche mit Ukrainer*innen mehr als mit anderen Geflüchteten, wie beispielsweise mit den Syrer*innen, die 2015 kamen? Wir haben Menschen auf der Straße nach ihren Empfindungen bezüglich des Ukraine-Krieges befragt und dazu, wo sie Unterschiede zu anderen Kriegen sehen.
©Rojda Çomak, Jan Ewertsen, Sarmini Sivanathan