Sind mobile Journalist*innen die Reporter*innen der Zukunft?
Wer über den Journalismus der Zukunft reden will, muss auch über seine Arbeitsweisen reden. Mobile journalism, auch mobile reporting oder Handyjournalismus genannt, ist eine der neueren Arten der Berichterstattung. Dabei gehen Journalist*innen, von einer Redaktion geschickt oder auf eine Faust, nur mit einem Smartphone bewaffnet ins Feld und filmen, schneiden, tippen, setzen von unterwegs ab. Sie sind agil, spontan und oft in Live-Geschwindigkeit bei der Sache. Dazu unauffälliger und nahbarer als ein mehrköpfiges Team mit sperriger Ausrüstung.
Aber wird tatsächlich nur an Wegen und Kosten gespart oder am Ende doch auch an der Qualität? Dass die beste Kamera die ist, die man zur Verfügung hat und warum Journalist*innen das „und-bitte“ sagen verlernen sollten, hat
Hartmut Altenpohl von der ARD.ZDFmedienakademie im Interview verraten. Er ist seit 2004 Dozent und Trainer und bringt Nachwuchsjournalist:innen bei, wie man Videos mit DSLR-Kamera, Smartphone und Camcorder selber produziert.
Herr Altenpohl, Sie sind Ausbilder im Bereich Videojournalismus und mobile journalism. Was genau ändert sich Ihrer Erfahrung nach auf dem Weg vom Kamerateam zum Handy?
Mobile Journalist:innen können ihre Beiträge oder Schalten direkt vom Handy absetzen. Das ist der entscheidende Vorteil. Sie sind damit plötzlich Sender. Vorher waren sie Kameraleute, jetzt sind sie auch Ü-Wagen, wenn man so will.
Das hat vor allem für regionale Berichterstattung große Bedeutung. Wenn man zum Beispiel an großflächige Bundesländer wie Bayern denkt, wo Fahrtzeiten vom und zum Sender locker drei Stunden betragen können.
Sind Handys denn auf Anhieb sendefähig, oder da braucht es doch mehr Equipment?
Sagen wir es so, die mobilen Reporter:innen sind extrem leidensfähig und bauen sich tausend work-arounds. Es gibt so eine Art Ausweichkultur, da sagen die Leute „Ach, das kann ich doch mit dem Handy machen“. Aber dann wird so aufgerigt – das ist eine bestehende Redensart – bis das Gerät so groß ist wie eine komplette Kamera. Inklusive Linsenvorrichtungen und Stabilisierungssystemen. Das ist unfassbar, was da experimentiert wird.
Was genau bedeutet aufriggen?
Ein Smartphone-Rig ist eine Art Stahlkonstrukt zum Stabilisieren, wo dann noch ein Licht draufgepflanzt werden kann, womöglich noch ein weiteres Mikro. Und zum Schluss habe ich dann ein Handy, das knapp ein Kilo wiegt. Ganz ehrlich da gibt es Kameras, die wiegen 600 Gramm und haben das alles an Board.
Was hat das Handy – außer der Live-Absetzbarkeit – dann noch für Vorteile?
Wenn man in einem Raum dreht, in dem die Tonbedingung in Ordnung ist, dann geht es ja auch ohne das ganze Brimborium. Und das Handy als Capturing Device (Aufnahmegerät) ist einfach, es ist direkt. Protagonist:innen lieben es, weil es klein ist und wenig Aufwand bedeutet.
Das scheint ein großes Spannungsfeld zu sein – ist das mobile reporting nun eine größere Herausforderung oder größerer Gewinn?
Ich habe den Eindruck, am Anfang wird immer ein Dogma gebildet. Redaktionen neigen dazu, zu sagen „Wir brauchen jetzt Handy-Journalismus“, nur weil es geht. Aber dann erkennt man: es ist eben nur eine Methode. Als Journalist sage ich, Inhalte stehen eh ganz vorne. Das Handy macht mir keine Story, sondern ich mache die Story. Und dazu brauche ich eine Kamera, die am Handy ist eben oft erreichbarer. Wenn ich zum Beispiel im Hotelzimmer bin und dann passiert etwas draußen auf der Straße, dann ist oft gar keine Zeit für viel Vorbereitung. Da gilt dann das Motto „die beste Kamera ist die, die ich zur Verfügung habe“.
Also geht es bei mobile journalism vor allem um Unmittelbarkeit und Verfügbarkeit.
Ja, genau. Und nochmal, der schlagende Vorteil ist wirklich die direkte Sendefähigkeit. Das ist einfach das, was keine Kamera kann. Und im nächsten Schritt gibt es dann auch noch eine gestalterische und inhaltliche Komponente, zum Beispiel eignet sich das Handyformat besser für die sozialen Medien.
Wenn man aber nicht für Social Media sondern fürs Fernsehen dreht, reicht dafür die Qualität der Handys aus?
Die Bildqualität von modernen Handys reicht für TV aus. Was sie allerdings nicht haben, sind Brennweiten. Handys haben einfach eine sehr kleine Optik, die nicht flexibel ist. Will ich also bestimmte Looks herstellen, oder Dinge auf eine größere Entfernung filmen, dann bin ich mit dem Handy ganz klar im Nachteil.
Genauso beim Ton. Wenn wir über Qualität sprechen wird meiner Meinung nach oft das Bild überbewertet. Die Leute schalten ab, wenn der Ton unverständlich ist oder wenn es total kracht im Kanal. Das wirkt direkt total unprofessionell – während ein etwas wackelndes Bild oder Überbelichtung gar nicht groß das Thema sind, sowas wirkt im besten Fall sogar authentisch.
Gibt es etwas, dass konventionell ausgebildete Journalist:innen aktiv verlernen müssen beim mobilen Journalismus?
Mit dem mobile journalism ist die Tugend des Situativen, Authentischen entstanden. Das liegt auch daran dass es bis etwa 2005 noch eine Kultur des Inszenierten gab. Es war völlig normal, dass das Fernsehen irgendwo hingegangen ist, und erstmal ein großes Set aufgebaut hat. Und wenn es dann ans Drehen ging wurde gesagt: „Jetzt tun sie mal so als sei die Kamera gar nicht da – und bitte!“. Mit dem Videojournalismus hat man wiederentdeckt, spontaner zum Filmobjekt hinzugehen, mit laufender Kamera anzuklingeln und los gehts. Das hat ganz neue Formate zustande gebracht.
Welche Formate denn zum Beispiel?
Der NDR hat jahrelang erfolgreich Sieben Tage – Sieben Köpfe gemacht. Das war ein offenes Experiment, wobei sich ein Journalist sieben Tage lang in eine herausfordernde Situation gebracht hat und das wurde einfach mitgedreht.
Das lebte davon, dass alles wirklich passiert ist. Kein „und bitte!“.
Also nochmal zu ihrer Frage, was Journalist*innen verlernen sollten: das „und-bitte“-sagen. Die Erfahrung lehrt auch, dass die Zuschauer:innen das sehr zu schätzen wissen. Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut. Und dann lieber nicht perfekt, etwas verwackelt, technisch nicht astrein – aber dafür authentisch.
Oft wird ja auch gesagt, Handyjournalismus sei kostensparend. Ist das denn in der Realität überhaupt der Fall, wenn die Journalistinnen so viel Equipment dazu kaufen müssen?
Ich kenne keine einzige Untersuchung in der geguckt wurde, was mit Handys gegenüber einer herkömmlichen Produktion eingespart werden kann. Die Sender wollten das mobile reporting eher aus anderen Gründen, weil es so unmittelbar, so direkt ist. Natürlich hat man auch Kostenüberlegungen angestellt und den Rebound Effekt, der dann sehr schnell kam, in Kauf genommen. Das heißt: es wird zwar günstiger produziert, aber dafür auch mehr. Die Schlagzahlen haben sich da immens erhöht.
Das hört sich sehr nach „Quantität statt Qualität“ an. Sehen Sie das so?
Ja, da ist schon was dran. Wo früher ein Radiobericht gereicht hat, dreht man jetzt auch noch ein Video. Jetzt muss man aber auch sagen: Im Nachrichtenjournalismus ist ja Aktualität und Schnelligkeit ein Qualitätsmerkmal. Wenn ich im ländlichen Bereich Sirenen höre und einen Autobahnrückstau sehe, und dann auf meine Nachrichtenplattform gucken kann, wo die Meldung schon mit Bildern zu sehen ist, dann ist das ja eine Form von Qualität.
Noch einmal zum Stichwort Multitasking: Aus der Sicht der Journalist:innen, die neben Autor:innen dann auch Kamera- und Tonmänner und -frauen werden – kann das funktionieren?
Das geht nur mit Leidenschaft. Alle mir bekannten Kolleg:innen, die das machen und durchhalten, die haben vor allem auch wahnsinnig viel Spaß daran. Und die sind auch sozusagen süchtig nach der Herausforderung, bei denen ist eine Art Jagdinstinkt geweckt. (lacht) Es ist oft die komplette Überforderung, man guckt auf das Bild, achtet auf den Ton, dann klingelt ja so ein Handy auch ab und zu mal, gleichzeitig müssen sie mit den Protagonisten umgehen… Ich habe schon öfter gehört, dass Kollegen bei Selbstdrehs nicht mehr dazu gekommen sind, auf die Toilette zu gehen. Also gesundheits- oder auch arbeitsschutztechnisch ist das ein heikles Thema. Alle, die es länger machen, brauchen auch öfter mal eine Pause.
Aber andererseits: Journalismus ist nie gemütlich. Und ich höre ich auch oft Kollegen die sagen: „Ey, ich hab das mit dem Handy gemacht, das war so geil weil die mir alles erzählt haben. Und dann hab´ ich mich einfach mit ins Auto gesetzt – die haben meine Kamera gar nicht mehr wahrgenommen.“ Es ist eine Demokratisierung des Mediums – du kannst mit deinem Handy volle Pulle Filme machen. Davon, dass wir das Equipment selbst in die Hand bekommen, haben wir bis vor zehn Jahren noch geträumt.
Ihr abschließendes Fazit: Ist mobiler Handyjournalismus die Zukunft oder bleibt die Kamera?
Die Kamera bleibt. Der mobile journalism ist eine Innovation, aber er verdrängt nicht alles andere. Ich sehe das sehr handwerklich. Ob jemand mit Handy und Rig oder mit Team rausgeht, wird letztendlich immer an Budgets, aber auch an das Thema angepasst sein müssen.
Ich persönlich mache auch Werbung dafür, das Ganze nicht dogmatisch zu sehen. Mal passt das Handy als Methode besser, mal das Team. Generell gilt: Inhalt ist King. Und mit welchem Instrument ich den einfange, das ist zweitrangig.
Hartmut Altenpohl, VJ, ARD ZDF Medienakademie