Wie grün ist die Fernsehbranche?
Hürden und Erfolge auf dem Weg zur Nachhaltigkeit
Die deutsche Fernsehbranche will ökologischer werden. Dabei sollen 21 Standards für nachhaltige Produktionen helfen. Für die Umsetzung holen sich die Rundfunkanstalten Expert:innen ins Haus und verzeichnen erste Erfolge. Doch in der Praxis ist noch viel Luft nach oben.
Kameras, Kostüme, Kulissen: Mit ihrem hohen CO2-Ausstoß ist die Fernsehproduktion ein wahrer Klimaschädling. Nach Erhebungen der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg setzt allein eine durchschnittliche Tatort-Produktion 100-140 Tonnen Kohlendioxid frei. Dieser Wert entspricht dem jährlichen Verbrauch von mindestens zehn Personen. Doch damit soll jetzt Schluss sein, wenn es nach dem Bund, den Ländern und Vertretern der Film- und Medienbranche geht. Ab dem 1. Juli 2023 sollen alle in Deutschland öffentlich geförderten TV- und Online- sowie Kino-Produktionen den einheitlichen ökologischen Mindeststandards für nachhaltige Produktionen entsprechen – und dafür mit dem green motion-Siegel ausgezeichnet werden. 2022 haben viele Sender bereits eine verbindliche Selbstverpflichtung abgegeben.
Damit Sendern und TV-Produktionsfirmen der Wandel zu grüneren Produktionen gelingt, setzen sie auf Green Consultants. Florian Rehm ist einer von ihnen. Der 37-Jährige ist Produktionsleiter der Redaktion Naturwissenschaft und Technik beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in Bayern – und seit Juli 2022 IHK-zertifizierter Experte für grünes Produzieren. „Die Programme der Redaktion befassen sich seit jeher mit den Aspekten der Nachhaltigkeit, mit zukunftssicheren Technologien, der Klimakrise und dem Artensterben. Da war es für mich selbstverständlich, dass wir mit unseren Produktionen auch Farbe bekennen müssen und die ist eben grün.“
Nachhaltigkeitsberater:innen wie Florian Rehm empfehlen den Einsatz von CO2-Rechnern und coachen Teams in Sachen Müllreduktion, Reisen und Energie. „Egal, wie hektisch und kompliziert der Produktionsalltag ist, ich werde nie aufhören, auf die Aspekte der Nachhaltigkeit hinzuweisen und auf die Umsetzung und Einhaltung der Kriterien zu pochen.“ Den Beruf ins Leben gerufen hat Regisseur, Producer und Autor Phillip Gassmann. Mit seinem Bundesverband der Green Consultants ermöglicht er einen bundesweiten Erfahrungsaustausch in der Branche.
ZDF setzt schon früh auf nachhaltige TV-Produktionen
Durch die aktive Umsetzung grüner Maßnahmen wie dem Einsatz der Green Consultants zeichnete sich das ZDF in der TV-Branche schnell als Vorreiter ab. Schon 2015 ist Der Quiz-Champion als erste deutsche TV-Show für eine freiwillige nachhaltige Produktion mit dem Grünen Drehpass der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ausgezeichnet worden. Als Gründungsmitglied des Arbeitskreises Green Shooting setzt die Rundfunkanstalt bei mehr als der Hälfte ihrer fiktionalen Produktionen auf die grünen Standards. Und auch in der naturwissenschaftlichen Redaktion kann Florian Rehm Erfolge verzeichnen: So konnten bei Terra X – Faszination Universum im Produktionsjahr 2020 durch ein angepasstes Lichtkonzept die Emissionen in diesem Bereich von 2,5 Tonnen auf 0,025 Tonnen CO2 reduziert und 15.000 Euro eingespart werden.
Das Engagement des ZDF begründet der Nachhaltigkeitsberater mit dessen gesellschaftlichem Auftrag: „Das ZDF verpflichtet sich neben seiner publizistischen Verantwortung auch den Prinzipien der Corporate Social Responsibility, die sich am Dreiklang von Ökologie, Sozialem und Ökonomie ausrichten. So wollen wir mit unserem Engagement ein Vorbild sein und ein Signal an die Medienbranche, aber auch an die Gesellschaft, andere Wirtschaftszweige und nicht zuletzt unsere Belegschaft senden.“
Produktionsreisen besonders umweltschädlich
Trotz zahlreicher Selbstverpflichtungen und grüner Entwicklungen – klimaneutral ist die Fernsehproduktion längst nicht. Schätzungen der BAFTA (British Academy of Film and Television Arts) und der britischen Organisation für ökologische Nachhaltigkeit in der Filmindustrie Albert zufolge, beträgt der durchschnittliche Treibhausgasausstoß für eine Stunde produzierte Fernsehzeit im Jahr 2021 immer noch 5,7 Tonnen CO2. Das entnahm der Zusammenschluss aus Sendern wie BBC, Channel Four, ITV und Sky den Daten ihres international genutzten CO2-Rechners. Die Hauptursachen für den hohen Ausstoß seien nach wie vor die Mobilität und der Energieverbrauch an Drehorten und in Produktionsbüros.
Vor allem die fehlenden Standards behindern weitere Einsparungen. Zwar kümmern sich laut Greenpeace derzeit mehr als 300 europäische Initiativen um Nachhaltigkeit in Film und Fernsehen, doch von EU-weiten Richtlinien fehlt jede Spur. Das zeigt sich bereits an der unterschiedlichen Berechnungsgrundlage für den produktionsbedingten CO2-Verbrauch. „Es gibt keine Einheitlichkeit. Das fängt schon damit an, dass es Rechner gibt, die das Catering nicht berücksichtigen“, so Birgit Heidsiek, Journalistin und Gründerin des Europäischen Zentrums für Nachhaltigkeit im Medienbereich Green Film Shooting. „Deshalb ist es wichtig, dass auf einen europäischen Standard hingearbeitet wird. Sonst werden die Produzenten verzweifeln.“
In Deutschland kommt erschwerend der sogenannte Fördertourismus hinzu. Da die meisten deutschen TV-Filmproduktionen von mehreren Förderanstalten finanziert werden, sind die Teams oft gezwungen, in die jeweiligen Gebiete zu reisen. „Wo das Geld herkommt, da wird auch gedreht. Das ist aus ökologischer Sicht eine absolute Katastrophe“, meint Birgit Heidsiek. Immerhin sei der Transport für den höchsten CO2-Ausstoß bei einer Film- und Fernsehproduktion verantwortlich. „Viele Filmteams ziehen wie eine Karawane von Berlin nach Düsseldorf bis nach München, was weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll ist“, so Heidsiek. Ihr Vorschlag im Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion in Berlin 2019: Die regionalen Förderanstalten sollten gegenseitig die Wirtschaftseffekte anerkennen, die in den unterschiedlichen Regionen erbracht werden.
Grünes Fernsehen dank grünem Storytelling
Florian Rehm appelliert an die Sender, sich von all diesen Hindernissen nicht abschrecken zu lassen: „Ich wünsche mir von der Branche weiterhin großen Mut bei der Umsetzung nachhaltiger Produktionen. Viel wichtiger als ein Label für den Abspann ist es nämlich, so zeitnah wie möglich klimaneutral zu werden und die Emissionsreduktion neben den wirtschaftlichen Aspekten einer TV-Produktion in den Vordergrund zu stellen.“
Den ebenso großen Wert misst der gelernte Kaufmann für audiovisuelle Medien dem Green Storytelling zu, dem Thematisieren von Klima-, Umwelt-, Naturschutzthemen und umweltfreundlicherem Verhalten in Drehbüchern. „Bei der Konzeption von Programmen muss schon im Drehbuch die Nachhaltigkeit mitgedacht werden. Hier liegt neben der Energieversorgung für Vor-Ort-Produktionen der größte Nachholbedarf. Wenn wir das berücksichtigen, kann auch der Fernsehbetrieb seinen Beitrag für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels leisten.“
Auch die Filmbranche versucht sich immer mehr an umweltfreundlichen Alternativen. Was sich hinter Green Producing verbirgt und wie es sich auf den Job auswirkt, erzählt Regisseur Tibor Baumann im Interview.