Sünder oder Samariter? So kämpft die Gamingbranche gegen den Endgegner Klimawandel
Umweltschutz ist in der Gamingindustrie zu einem Buzzword geworden. Die Branche will grüner werden, doch steht sie gleichzeitig vor großen Herausforderungen. Reichen ihre Bemühungen zum Wandel oder bleibt am Ende alles nur gutes Marketing?
In den Straßen türmen sich gigantische Müllberge, ein brauner Schleier umhüllt die alte Küstenstadt. Das Atmen fällt schwer. Evergreen Harbour ist kein schönes Fleckchen Erde, doch es ist genau der richtige Ort, um für Umweltthemen zu sensibilisieren. In „Sims 4: Nachhaltig leben“ liegt es in den Händen der Spieler:innen, die virtuelle Stadt wieder auf Kurs zu bringen. Ob mit Sonnenkollektoren und Windturbinen oder durch Recycling und Eigenanbau – Ziel ist es, die Welt ein Stückchen lebenswerter zu machen.
Immer öfter werben Spieleentwickler:innen mit sogenannten „Environmental Games“ für mehr Nachhaltigkeit und das aus gutem Grund: „Als eines der wichtigsten Leitmedien unserer Zeit eignen sich Games, die ohnehin ein enormes Bildungspotenzial besitzen, hervorragend, um Umweltthemen zu vermitteln“, so Felix Falk, Geschäftsführer beim Branchenverband game. Die Zahlen geben Falk recht. Immerhin gibt es im Jahr 2023 schätzungsweise 3,8 Milliarden Gamer:innen mit einer durchschnittlichen Spielzeit von 40 Minuten am Tag. Diese 40 Minuten bieten eine wertvolle Gelegenheit, mithilfe von „Serious Games“ Bewusstsein für ökologische Anliegen zu schaffen. Der primäre Zweck dieser Videospiele geht weit über die Unterhaltung hinaus. Klimafreundliches Verhalten wird bewusst im Spiel belohnt – Naturschutz wird zur Hauptmission. Doch steckt hinter grünen Spielen nur geschicktes Marketing oder doch echtes Engagement?
Nachhaltigkeit in der Gaming-Welt nur eine grüne Illusion?
Das vermeintlich nachhaltige Image der Games-Branche droht angesichts des hohen Stromverbrauchs zu bröckeln. Allein in den USA seien Videospiele im Jahr 2016 für rund fünf Milliarden US-Dollar an Energiekosten und 24 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich. Das entspräche den Treibhausgasemissionen von fünf Millionen PKW, so Evan Mills, Wissenschaftler am Berkeley Lab, einer Forschungseinrichtung des US-Energieministeriums unter der Leitung der University of California. Laut seiner Studie seien Gamer:innen zudem für 2,4 Prozent des gesamten Stromverbrauchs von Privathaushalten verantwortlich: „Das ist, zur Veranschaulichung, der Stromverbrauch von etwa 85 Millionen neuen Kühlschränken.“
Die Hersteller lässt das offenbar unbeeindruckt, denn auch die neusten Konsolengenerationen können wahre Stromfresser sein. So ist der Stromverbrauch der aktuellen Playstation-Generation im Vergleich zum Vorgängermodell um über 20 Prozent gestiegen. Lediglich das Handheld-Gerät Nintendo Switch schneidet nach einer Berechnung des Energiedienstleisters E.ON sehr gut ab.
Verbesserungspotenzial erkennt Mills vor allem auf Software-Ebene. „Bei schlechter Energieverwaltung ist der Strombedarf im Standby-Modus vergleichbar mit dem während des Spielens.“ So verbraucht die Xbox Series S von Microsoft beispielsweise im Standby-Betrieb standardmäßig so viel Energie wie eine Nintendo Switch bei voller Spielleistung.
Den meisten Strom verbrauchen aber nicht die Konsolen und Gaming-PCs selbst, sondern die Serverfarmen. Besonders das Cloud-Gaming, bei dem Spiele auf externen Servern statt auf dem eigenen Gerät gespeichert und gespielt werden, trägt zu einem beträchtlichen CO2-Ausstoß bei. Stößt ein Spiel aus dem Einzelhandel laut Sony pro Stunde 0,055 Kilogramm Kohlenstoffdioxid aus, ist es beim Cloud-Gaming fast die dreifache Menge CO2. Der hohe Verbrauch stammt vor allem von Rechenzentren. Diese müssen gekühlt und belüftet werden. Zuletzt spielt auch die Konsolenherstellung eine wesentliche Rolle. Das Technikportal The Verge rechnete 2019 zusammen mit der University of Cambridge aus, dass allein bei der Herstellung und dem Transport einer einzelnen Playstation der vierten Generation 89 Kilogramm CO2 freigesetzt werden. „Seit der Veröffentlichung der Playstation 4 im Jahr 2013 wurden so insgesamt etwa 8,9 Milliarden Kilogramm Kohlendioxid erzeugt und freigesetzt. Das ist mehr als alle Emissionen Jamaikas im Jahr 2017“, so The Verge. „Alles für eine kleine Videospielkonsole.“
Nachhaltige Initiativen setzen Zeichen für Umweltschutz
Doch es zeigt sich auch ein Lichtblick. Einer Umfrage des Branchenverbands game von 2021 zufolge versuchen bereits 76 Prozent der Videospiel-Unternehmen, nachhaltiger zu wirtschaften. So nutzen sie beispielsweise Ökostrom oder sparen bei Energie und Heizung. „Die Branche arbeitet auf vielen verschiedenen Wegen daran, ihren Beitrag zu mehr Umwelt- und Klimaschutz zu leisten: ob durch die Entwicklung von Spielen, die sich mit dem Thema beschäftigen, oder durch das Engagement und Nachhaltigkeitsinitiativen der Games-Unternehmen“, so Falk. Auch der Branchenverband selbst ist aktiv und arbeitet seit 2021 klimaneutral. „Über ClimatePartner unterstützen wir Klimaschutzprojekte und kompensieren so unsere CO2-Emissionen, die unter anderem durch den Geschäftsbetrieb, Arbeitswege der Mitarbeitenden und Geschäftsreisen angefallen sind.“
Seit Mitte Juni 2021 ist game zudem Teil der Playing for the Planet-Alliance, einer Kooperation der Vereinten Nationen mit der Games-Branche. Die Initiative wurde 2019 im Zuge des UN Climate Summit in New York ins Leben gerufen. Ihre Mitglieder verpflichten sich mit ihrem Beitritt zur Allianz zur Reduzierung von Emissionen sowie zur Unterstützung der globalen Umweltagenda. Die Selbstverpflichtung ist freiwillig, doch immerhin haben sich inzwischen über 40 Unternehmen der Playing for the Planet-Alliance angeschlossen, darunter auch Ubisoft, Playstation oder Microsoft .
Darüber hinaus ergriffen die Konsolenhersteller Sony, Microsoft und Nintendo mit dem Games Console Voluntary Agreement (GCVA) Initiative. Das 2015 von der EU-Kommission anerkannte Abkommen verpflichtet die Unterzeichner:innen zur Implementierung einer automatischen Abschaltung der Konsole nach etwa einer Stunde ohne Nutzung, einer maximalen Energiebegrenzung, zur Wiederverwendbarkeit der Konsolen und zur Transparenz über den Energieverbrauch. So sollen zukünftig Gaming-Konsolen so energieeffizient wie möglich gestaltet werden. Auch wenn der Stromverbrauch der Konsolen weiter steigt, sollen durch das Abkommen allein im Jahr 2020 rund sieben Terawattstunden Strom eingespart worden sein. Das ist mehr Strom als San Francisco pro Jahr verbraucht.
Mit Vernetzung und neuen Ansätzen zur grüneren Branche
Ausgebaut werden sollen diese Ansätze durch einen regen Wissensaustausch innerhalb der Gamingbranche. Neue Strategien sollen erforscht und gefördert werden. Hierzu nehmen die beteiligten Studios auf dem jährlich stattfindenden Green Game Jam bewusst grüne Themen in den Fokus. „Mit dem Green Game Jam möchten wir einen Raum für Spielestudios schaffen, in dem sie Best Practices finden können, um ihre Millionen von Spieler:innen durch die Spiele, die sie kennen und lieben, in Bezug auf Umweltthemen zu unterstützen“, heißt es von den Veranstalter:innen. Bei der diesjährigen Ausgabe unter dem Titel Gaming for Wildlife wurden nach eigenen Angaben 600.000 US-Dollar gesammelt und in der Vergangenheit bereits 266.000 Bäume gepflanzt.
Der Green Game Jam ist dabei nur eines von vielen grünen Events. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltete beispielsweise im Juli dieses Jahres den bpb:game jam zum Thema Mobilität und Verkehrswende. Zudem haben sich die Koelnmesse und game bereits im vergangenen Jahr das Ziel gesetzt, die Spielemesse gamescom nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten. Und alle konnten mitmachen: „Eine besondere Stärke des Konzepts ist das gemeinsame Engagement von erstens uns als Veranstalter:innen, zweitens den beteiligten Unternehmen sowie drittens der Community. Das macht deutlich, dass wir alle nur gemeinsam den Klimawandel aufhalten und die Umwelt schützen können“, so Falk. „Am Ziel sind wir aber noch lange nicht.“
Die Verantwortung liegt bei Unternehmen und Gamer:innen
Die Gamingindustrie tut offenbar einiges, um grüner zu werden. Doch reicht das aus? Nach Mills entschieden letztlich die Hersteller von Gaming-Hardware und -Software sowie die Energiepolitiker:innen – und auch die Gamer:innen selbst – darüber, wie Potenziale in der Praxis umgesetzt werden. Für eine grünere Zukunft bräuchte es allerdings vor allem aufseiten der Publisher eine tiefere und standardisierte Auseinandersetzung mit den CO2-Spuren, die die Branche hinterlässt, heißt es in seinem Forschungsbericht. Studios könnten nicht länger vordergründig Bäume pflanzen, um im Hintergrund Rekordemissionen zu verzeichnen.
Auch game appelliert weiter an alle Bereiche der Industrie, den eigenen CO2-Ausstoß zu reduzieren: „Genutzte Technologien, Rohstoffe und Chemikalien, das Betreiben von Datenzentren und Servern, Distribution physischer Produkte, Recycling und Veranstaltungen von Events sind nur ein paar Beispiele dafür, auf wie vielen Ebenen die Branche klimaschädliche Ausstöße einsparen kann.“
Mit den bisher geleisteten Maßnahmen hat die Gamingindustrie den Kampf gegen den Endgegner Klimawandel aufgenommen. Die Herausforderung liegt nun darin, nicht nur eine grüne Simulation zu erschaffen, sondern die Gaming-Welt auch in der Realität zu einem Ort des nachhaltigen Handelns zu machen.