Journalismus, was ist los?
Die Digitalisierung hat die Welt umgekrempelt, darin werden sich die meisten einig sein. Auch im Journalismus hat sie für grundlegende Veränderungen gesorgt und einen Kampf um Likes, Klicks und Aufmerksamkeit losgetreten. Die Rollen aller Teilnehmer*innen des Mediensystems müssen neu sortiert und vergeben werden. Aber in diesem Umbruch bleiben Nachwuchsjournalist*innen leicht auf der Strecke. Lieber Journalismus: Lässt du mich fallen, wenn es brenzlig wird?
Lieber Journalismus,
eigentlich hatte ich mir das anders vorgestellt mit uns. Schließlich dachte ich, unser gemeinsames Ziel wäre klar – zur Meinungsbildung und einer informierten Gesellschaft beitragen. Doch die rosa Wolken der anfänglichen Euphorie sind verpufft – und vom Schweben sind wir ins Fallen geraten. Wir haben einige Probleme, die wir nicht einfach ignorieren können. Denn du hast dich verändert – und damit auch deine Qualität, deine Glaubwürdigkeit und deine Attraktivität als Berufsfeld.
Ich weiĂź, die Zeiten sind nicht leicht fĂĽr dich. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung von Juli 2022 bestätigt: Der mediale Wandel durch die Digitalisierung hat dich vor neue Herausforderungen gestellt. Statt Information und Integrität scheinen jetzt Skandalisierung und SelbstĂĽberschätzung nur allzu verlockend fĂĽr dich zu sein. Die Medienunternehmen wollen, dass du schnell bist. Ob du gut und qualitativ hochwertig arbeitest, ist ihnen egal. Hauptsache Geld – ist das erstrebenswert? Dabei ist das Presseproblem eigentlich gar nicht so neu. Was aber neu ist, sind die veränderten ökonomischen Bedingungen und neuen Vermittlungswege. Soziale Online-Plattformen wie Facebook, Twitter und Co. geben mit ihren geheimen Algorithmen den Takt an – und du bist gezwungen, dich gegen Millionen von „Content-Creatorn“ zu behaupten und genauso wie alle anderen um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen zu buhlen. Deine Stellung als stolzer Gatekeeper in glänzender RĂĽstung, der allein darĂĽber entscheidet, welche Informationen an die Ă–ffentlichkeit gelangen, hast du schon lange nicht mehr. Auf sozialen Plattformen kann jetzt jede*r Nachrichten publizieren. Und durch die Boulevardisierung deiner Inhalte passt du dich an. Die Folge: Dein Angebot verliert an Qualität und dein Publikum das Vertrauen in dich.
Das scheinst du bisher aber nur bedingt zu reflektieren. Und nicht nur das, denn die Last dieser Veränderungen ruht vor allem auf den Schultern der Nachrichtenmacher*innen – und damit auch auf meinen. Die Verantwortung, sorgfältig und ausführlich zu arbeiten und der Druck abzuliefern, werden immer größer. Die Studie der Otto-Brenner-Stiftung zeigt, welche Konsequenzen das hat: Ungefähr 60 Prozent der befragten Journalist*innen haben im vergangenen Jahr wiederholt darüber nachgedacht, ihren Job aufzugeben – jede*r Zehnte sogar mehrmals in der Woche. Auffallend ist, dass vor allem jüngere Journalist*innen sich gestresst fühlen und unter dem neuen Leistungsdruck leiden. Gerade die jüngeren sorgen sich also um ihre berufliche Zukunft. Und auch ich frage mich: Lässt du mich fallen, wenn ich einmal nicht abliefere?
Wenn das mit uns etwas werden soll, braucht unsere Beziehung also vor allem das, was es in jeder funktionierenden Beziehung braucht: Sicherheit und Zuverlässigkeit. Vielleicht solltest du also endlich damit anfangen, eine Grenze zu ziehen und das Ruder herumzureißen. Eine Grenze zwischen dir und den anderen, die mitmischen – den sozialen Medien, der PR, dem Kommerz. Schließlich kann in jeder Krise auch eine Chance liegen. Wie wäre es mit Transparenz und Ehrlichkeit als Qualitätsmaßstab? Oder einfach mit etwas frischem Wind? Neue Ideen und Formate, die auf Missstände hinweisen, Informationen bereitstellen und Perspektiven aufzeigen. Ganz ohne versteckte Interessenskonflikte. Vielleicht würden die Leute dafür ja auch gerne bezahlen? Schließlich heißt es doch: In guten wie in schlechten Zeiten, oder? Und ich finde, es ist Zeit für die guten.