Wie Attila Hildmann den Journalismus rettet

Oder: Da wird man ja wohl noch drüber schreiben dürfen!

Du hast Journalismus studiert und bei Flink stellen sie gerade niemanden ein. Taxifahren ist so ein Nineties-Ding und passt auch nicht wirklich zu deiner Überzeugung einer autofreien Innenstadt. Du hast aber teures Geld für deine Ausbildung bezahlt und irgendwie muss jetzt auch mal Kohle reinkommen. Dunkel erinnerst du dich daran, dass du irgendwann gelernt hast zu schreiben. Artikel und so. Aber was liest man heutzutage denn noch? Der letzte Spiegel-Artikel, den du deiner Mutter per WhatsApp geschickt hast, ist zwei Wochen lang grau geblieben. Nachrichten über Omikron-Impfstoffe klicken sich eben nicht, selbst wenn Mama zur Risikogruppe gehört.

Attila Nichtimbildmann

Worüber willst du also schreiben? Auf den 9-Euro-Ticket-Zug-Zug willst du nicht mitaufspringen. Alles schon gesagt. Du gehst durch deine Telegram-Kanäle, die du irgendwann mal für eine Recherche über Rechtsextremismus angelegt hast und fragst dich: Was macht Attila Hildmann eigentlich gerade? In letzter Zeit ist es ziemlich ruhig um Deutschlands vegansten Verschwörungsprediger geworden. Das war mal ganz anders. Als der Spiegel sich im Sommer 2020 mit Attila Hildmann zu einem Waldspaziergang traf, war das Echo unüberhörbar. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob man über Hildmann überhaupt berichten dürfe und man ihm eine Bühne geben sollte. 2020 ist lange her und Hildmann wurde inzwischen von deutschen Journalisten zu „Dem-der-nicht-genannt-werden-darf“ gemacht, zu einer Art veganem Voldemort, einer Persona non Kartoffelgratin.

Du merkst, da steckt etwas drin. Du könntest also über Hildmann schreiben. Irgendwas Antisemitisches wird er schon gesagt haben. Allerdings hast du Dank deiner monatlichen Studiengebühren von 690 Euro auch mal etwas von Verantwortung im Journalismus gehört. Wenn du einen Artikel über Hildmann schreibst, unterstützt du ihn dann, indem du ihm Aufmerksamkeit schenkst?

Wie oben erwähnt, haben andere Medienjournalisten sich bereits gefragt, ob man über Attila Hildmann berichten dürfe. Und darin liegt die Lösung deines Verantwortungsproblems, denn du kannst die viel wichtigere Frage stellen: Darf man darüber berichten, ob man über Attila Hildmann berichten darf? Und wirft dieser Artikel, also genau dieser hier, nicht die Frage auf, ob du darüber berichten darfst, dass andere Journalisten darüber berichten dürfen, ob man über Attila Hildmann berichten darf? Schriebe jetzt ein anderer Journalist über deinen Artikel, würde die Frage lauten, ob man darüber berichten darf, dass du darüber berichten darfst, dass andere darüber berichten dürfen, ob man über Attila Hildmann berichten darf. Du wiederum könntest fragen, ob andere Journalisten darüber berichten dürfen, dass du darüber berichten darfst, ob sie darüber berichten dürfen, ob man über Attila Hildmann berichten darf. Definitiv dürfen die das dürfen, wenn du das darfst!

Herzlichen Glückwunsch! Du hast soeben das Perpetuum Mobile des Medienjournalismus geschaffen, den berichterstattenden menschlichen Tausendfüßler. Clickum ad infinitum ohne dabei selbst Verantwortung übernehmen zu müssen. Wer hätte gedacht, dass Attila Hildmann einmal den Journalismus rettet und das auch noch eine nachhaltige Art und Weise?

Denn ohne dich, sähe die Berichterstattung über ihn so aus:

Autor

  • Juri Stavenhagen

    hat seine erste Zeitung im Supermarkt geklaut und wurde anschließend erwischt. Seitdem zahlt er lieber für Journalismus. Wenn Juri nicht auf Deutschlands Bühnen als Stand-up-Comedian unterwegs ist, schreibt er Witze für den WDR.

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