Warum Wissenschaftsjournalismus nicht nur etwas für Akademiker*innen ist
Wissenschaft ist nur etwas für leicht grau melierte Menschen in weißen Kitteln, die mit einem seltsamen Vokabular herumdrucksend vor sich hin argumentieren und sich selbstreferenziell darüber austauschen, welche neuen Erkenntnisse sie hinter einem undurchsichtigen Wall aus Methodik und Theorie zu einem Thema erlangen konnten, wovon Durchschnittsmenschen sowieso noch nie etwas gehört haben. Aber Schluss mit dem unverständlichen Wissenschaftsjargon. Wissenschaftliche Aspekte finden sich schließlich auch im alltäglichen Leben wieder. Umso wichtiger ist es, die auch für Nicht-Wissenschaftler*innen zu vermitteln.
Wissenschaftsjournalismus ist der Journalismus über die Wissenschaften. So weit, so klar. Aber sind Wissenschaftsjournalist*innen eher Wissenschaftler*innen oder eher Journalist*innen? Teils, teils muss man hier antworten. Die Wege in den Journalismus sind mannigfaltig, so auch in dieser Sparte. Einer, der es wissen muss, ist Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund und Inhaber des einzigen Universitäts-Lehrstuhls für Wissenschaftsjournalismus in Deutschland. „Als der Studiengang ins Leben gerufen wurde, war die Idee, dass man schon eine zusätzliche Qualifikation braucht, um kompetent über Wissenschaft berichten zu können. Eine, die tiefergehender ist, was die Sach- und Fachkompetenz angeht, als das in anderen Feldern der Fall ist.“
Die Inhalte des Studiums setzen sich deshalb zu einem Teil mit Sachkompetenz im Wissenschaftssystem und dem journalistische Handwerk auseinander und zu einem anderen Teil mit Fachkompetenz in einem wissenschaftlichen Zweitfach wie Physik, Medizin oder Datenjournalismus. Gerade Letzterer ist in einer digitalen Welt immer wichtiger geworden. So waren es schließlich auch Datenjournalist*innen, die während der Corona-Pandemie die schwierige Datenlage aus Inzidenzen, Hospitalisierungsrate und Co. überblickten und für die Menschen verständlich aufbereitet haben.
Datenjournalismus
und Wissenschaft
Der Datenjournalismus hat eine enorme Wichtigkeit für unsere Gesellschaft. Gerade bei Themen wie dem Klimawandel und der Corona-Pandemie ermöglicht eine evidenzbasierte Berichterstattung den Menschen sich eine eigene Meinung zu bilden. Was diese besondere Form des Journalismus ausmacht, erklärt Daten- und Wissenschaftsjournalistin Christina Elmer.
Obwohl Wissenschaft und Wissenschaftsjournalismus also nah beieinanderliegen und dies bis zu einem bestimmten Grad auch notwendig ist, bleiben sie dennoch strikt getrennt. Damit sind Wissenschaftsjournalist*innen tatsächlich eher Journalist*innen als Wissenschaftler*innen, wenngleich einige von der Wissenschaft in den Journalismus gewechselt sind. Denn der Wissenschaftsjournalismus hat auch in diesem Feld vor allem die Aufgabe der Fremdbeobachtung. So wird sichergestellt, dass die Wissenschaftskommunikation nicht nur den Forschungseinrichtungen überlassen bleibt. „Wenn Forschungseinrichtungen oder auch einzelne Forschende Wissenschaftskommunikation betreiben, dann sprechen sie ja über sich selbst, über ihr eigenes Metier. Und wenn der Wissenschaftsjournalismus das tut, sollte er das idealerweise aus einer unabhängigen, kritischen Beobachterperspektive tun“, erklärt Wormer.
So besteht keine Gefahr, dass Wissenschaftskommunikation mehr PR als Aufklärung ist. Zum anderen sind Journalist*innen ohnehin deutlich näher an ihren Rezipient*innen als das Wissenschaftler*innen je sein könnten. Wissenschaftsjournalismus muss sich somit bis zu einem bestimmten Grad sicherlich auch am wissenschaftlichen Qualitätsniveau messen lassen. Gleichzeitig muss er dabei die Balance zwischen ausreichend verständlich und ausreichend komplex finden – das ist aber alles andere als leicht.
Kann Wissenschaft verständlich sein?
„Ce qui est simple est toujours faux. Ce qui ne l’est pas est inutilisable.”
Paul Valéry, Philosoph
Das ist Französisch und bedeutet so viel wie: Alles Einfache ist immer falsch und alles komplizierte unbrauchbar. Gesagt hat das der Philosoph Paul Valéry, der damit auf ein interessantes Paradox aufmerksam macht: Wenn Wissenschaftsjournalist*innen in ihrer Berichterstattung einen wissenschaftlichen Sachverhalt zu einfach darstellen, dann ist dieser für die Rezipient*innen zwar verständlich, die eigentliche Tiefe und Komplexität des Themas geht aber verloren. Der Bericht müsste wichtige Zusammenhänge außen vorlassen, die eigentlich eine gewisse Wichtigkeit für das Gesamtverständnis des Themas haben.
Damit das nicht passiert und ein Thema selbst in einem kurzen Beitrag in seiner ganzen Tiefe rübergebracht werden kann, hat die Medienmarke Quarks das „Champignon-Prinzip“ entwickelt. Der Champignon ist dabei die Essenz der wissenschaftlichen Erkenntnis, die bei den Rezipient*innen ankommen soll. Sein nicht direkt sichtbares Wurzelwerk – das Mycel – ist die aufwendige Recherche, aus der die Erkenntnis erwächst. Jonathan Focke, Leiter der Digitalredaktion bei Quarks, erklärt es so: „Ich weiß, dass am Ende dieser Champignon da sein muss. Ich fange deshalb nicht an, wie wild draufloszurecherchieren, sondern überlege, wie ich das so anschaulich wie möglich machen kann.“
Das Wurzelwerk wird für die Rezipient*innen dann meist erst im Nachgang der Veröffentlichung sichtbar. Die Community-Manager*innen bei Quarks gehen detailliert auf Fragen der Rezipient*innen ein und versuchen, den Rechercheprozess möglichst anschaulich zu vermitteln, sollten Dinge nicht klar geworden sein. „Nur so funktioniert auch die Komplexitätsreduktion für so kurze Inhalte: Durch eine sehr präzise Recherche und die Vorbereitung des Community-Papiers“, erklärt Focke.
Im Auftrag der informierten Gesellschaft
Quarks arbeitet hierbei auch mit dem Science Media Center (SMC) in Köln zusammen. Das hilft Journalist*innen dabei, wissenschaftliche Themen besser rüberzubringen und wissenschaftliche Gütekriterien zu beachten. Das Science Media Center versteht sich dabei als Mediator zwischen Wissenschaft und Journalismus und trägt dazu bei, dass die Wogen zwischen den beiden Disziplinen geglättet bleiben. Denn für Wissenschaftler*innen gibt es wohl nichts Schlimmeres, als wenn die eigenen Forschungsergebnisse aus dem Kontext gerissen und dann auch noch einem Massenpublikum präsentiert werden.
Deshalb stellt das Science Media Center eine Reihe von Angeboten zur Verfügung, um Journalist*innen unter die Arme zu greifen. Mit ihren „Rapid Reactions“ bietet das SMC Zitate und Einordnungen von Fachleuten, die für viele Journalist*innen gerade bei brandaktuellen Themen Gold wert sein können. Darüber hinaus organisiert und moderiert das SMC auch „Press Briefings“, in denen Medienschaffende die Möglichkeit haben, mit sehr gefragten und schwer zu erreichenden Expert*innen auf einem Gebiet zu sprechen. Daneben bietet das SMC weitere Dienstleistungen für Themen an, die nicht tagesaktuell sind. So informiert es auch über vermeintliche „Durchbrüche“ in den Wissenschaften und hilft Journalist*innen dabei die Erkenntnisse besser einzuordnen.
Das Science Media Center verfolgt hierbei eine klare Mission: „Wir wollen verlässliches Wissen für eine aufgeklärte Gesellschaft bereitstellen und Journalisten in Zeiten der Krise mit Fakten und Informationen unterstützen“, sagt Lutz Dreesbach, Projektmanager beim Science Media Center. Mit Krise meint er hier vor allem die Corona-Pandemie, die den Journalismus und das Wissenschaftssystem vor noch nie da gewesene Herausforderungen gestellt hat. Vor allem, da so viele wissenschaftliche Publikationen in kurzen Abständen veröffentlicht wurden. „Wir wollen Wissenschaftsjournalisten in die Lage versetzen, in dieser modernen Welt weiterhin den Überblick zu behalten“, so Dreesbach weiter.
Auch wenn kühler, faktenorientierter Wissenschaftsjournalismus ein wichtiger Baustein in der Berichterstattung über aufgeheizte Debatten zu Themen wie der Corona-Pandemie oder dem Klimawandel ist, sollten Wissenschaftsjournalist*innen auf diesem Feld nicht alleine kämpfen. Das findet Annegret Burkert, eine von sechs Redakteur*innen beim Science Media Center. „Also, ich bin eigentlich Wissenschaftlerin und noch nicht so lange im Wissenschaftsjournalismus angekommen. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, um die Dringlichkeit dieser Themen festzumachen, reichen rein wissenschaftliche Fakten nicht aus. Da brauchen wir auch ein bisschen Emotionalität.“
Das Exoten-Ressort
Wissenschaftsjournalismus ist damit nicht bloß das verständliche Wiedergeben von empirischer Evidenz. Denn nicht immer ist eine neue Studie Anlass für die Berichterstattung. Vielmehr sind es Themen aus der öffentlichen Diskussion und dem Alltag der Menschen, die mal unter die wissenschaftliche Lupe genommen werden. Dabei reicht das Themenspektrum des Wissenschaftsjournalismus sehr weit: vom Wissenschaftsreport über Eiskernbohrungen in der Arktis und den daraus ableitbaren Erkenntnissen zur Entwicklung des Weltklimas bis hin zu Berichten darüber, was man bei der Mülltrennung beachten sollte, also eigentlich schon fast Servicejournalismus.
Dass wissenschaftliche Aspekte in vielen Themenbereichen relevant sind, bringt aber ein Problem mit sich: In der Ressort-Struktur vieler Medienhäuser hat der Wissenschaftsjournalismus seit jeher Schwierigkeiten, sich zuzuordnen. Wissenschaftsjournalist*innen wurden damit in „Exoten-Ressorts“ geparkt, die sich mitunter hinter Bezeichnungen wie „Wissen und Technik“ oder „Physik und Astrologie“ verstecken – wenn es denn überhaupt eigene Wissenschaftsressorts gab. Zu den Wissenschaften gehört aber nicht nur Physik, Chemie und Technik, sondern auch so etwas wie Sozialwissenschaften, die häufig in anderen Ressorts behandelt werden. Diese Aufteilung des Bereichs „Wissenschaft“ sorgt dafür, dass der Wissenschaftsjournalismus nach außen zumindest eher unsichtbar bleibt. Nach innen genießen Wissenschaftsjournalist*innen hingegen meist ein hohes Ansehen. Nämlich dann, wenn Kolleg*innen aus anderen Ressorts mal wieder Fragen zu eigenen Recherchen haben, die sich ohne das entsprechende Fachwissen nicht leicht beantworten lassen.
Diese beratende Funktion des Wissenschaftsjournalismus ist mit der Corona-Pandemie wieder in den Vordergrund gerückt und hat die „Exoten“ aus ihren Hinterzimmern geholt, die so in sämtlichen Ressorts mitgemischt haben. In vielen Redaktionen scheint nun auch die Erkenntnis angekommen zu sein, dass bei Themen mit Wissenschaftsbezug immer auch ein*e Kolleg*in aus dem Wissenschaftsressort im Team sitzen sollte. Da Wissenschaftsjournalist*innen eben doch andere Fragen stellen, als das Politikjournalist*innen machen.
Für Lutz Dreesbach hat der Wissenschaftsjournalismus in den letzten Jahren damit seine Einzigartigkeit unter Beweis gestellt: „Mit dieser Tiefe und differenzierten Betrachtung aus dem Wissenschaftssystem Themen mitzuverfolgen und zu begleiten, ist natürlich eine Kernaufgabe des Wissenschaftsjournalismus. Und die kann, glaube ich, so auch kein anderes Ressort stemmen“. Mit dieser Herangehensweise boomte der Wissenschaftsjournalismus in den letzten Jahren in Deutschland enorm und hat gezeigt, dass er gerade in Krisenzeiten eine besondere gesellschaftliche Relevanz hat.
Wissenschaftsjournalismus im Boom
Schon lange war die Arbeit von Wissenschaftsjournalist*innen in deutschen Redaktionen nicht mehr so sehr gefragt wie heute. Vor allem die Corona-Pandemie und die Klimakrise haben den Journalismus vor neue Herausforderungen gestellt. Schnell wurde klar: Um über Themen mit Wissenschaftsbezug zu sprechen, braucht es auch das entsprechende Fachwissen über das Wissenschaftssystem und eine Expertise zu den Themen selbst. Nur so können Journalist*innen neue wissenschaftliche Publikationen verstehen und für die Rezipient*innen verlässlich einordnen. Der Wissenschaftsjournalismus ist also im Boom. Doch kann er diesen beibehalten?