Das verstaubte Image des Servicejournalismus
Servicejournalismus hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der gefragtesten Journalismusformen entwickelt und ist populär wie nie. Sich immer mehr an den Interessen des Publikums zu orientieren, ist im digitalen Zeitalter zu einer Notwendigkeit geworden – denn Servicebeiträge lassen die Kasse klingeln. Und trotzdem: Besonders angesehen ist der Servicejournalismus unter seinen Kolleg*innen wie dem Politik- oder Nachrichtenjournalismus nicht, denn die sprechen ihm nach wie vor seine journalistische Qualität ab. Wieso das so ist und warum gerade ein Ressort im Servicejournalismus eine besondere Verantwortung trägt:
„Kann eine Spinne aus dem Staubsauger krabbeln?“ – so oder so ähnlich könnte eine Frage klingen, die garantiert schon einmal der eine oder die andere in die Suchleiste des eigenen Internetbrowsers getippt hat. Und nicht nur das, denn so gut wie jede*r hat schon einmal einen hilfreichen Beitrag online oder in der Zeitung gelesen, im Radio gehört oder im Fernsehen gesehen und dabei gar nicht bemerkt, dass es sich hier um Servicejournalismus handelt. Schließlich verbinden die meisten mit Serviceartikeln noch immer Überschriften wie „Das ultimative Mittel gegen Rotweinflecken“ oder „Zehn Tipps fürs richtige Blondieren“.
Und so hat der Servicejournalismus mit viel Kritik und noch mehr Vorurteilen zu kämpfen. Denn auch unter Journalist*innen genießt er kein besonders hohes Ansehen und wird als journalistische Form mehr belächelt als beklatscht. Ihm wird nachgesagt, er rede den Leuten doch sowieso nur nach dem Mund. Aber weit gefehlt. Denn Serviceinhalte im Journalismus sind mehr als das.
Ein Journalismus, der begleitet
Die meisten größeren Medienunternehmen haben ein ganzes Ratgeberressort, in dem genau solche serviceorientierten Themen angesiedelt sind – von Heim und Garten, über Ernährungstipps, bis hin zu Wirtschaft oder Digitales ist alles mit dabei, was den oder die Verbraucher*in unmittelbar beschäftigen oder interessieren könnte.
Lydia Klöckner ist Redakteurin des Nachrichtenportals t-online und schreibt für den Ratgeberbereich „Gesundheit“. Sie findet, die Kritik am Servicejournalismus ist alles andere als berechtigt: „Wenn man Journalismus als Teil des Wissensschatzes sieht, der Menschen zu mündigen Entscheidungen in ihrem Alltag verhilft, dann würde ich sagen, dass Servicejournalismus da eine wichtige Rolle spielt.“
Mit ihren Texten zu medizinischen Themen will sie ihren Leser*innen eine Orientierung bieten und dazu beitragen, dass sie ihre Erkrankung verstehen und erkennen, welche Behandlungswege es geben kann. Und nicht nur das. Für die Journalistin hebt sich der Servicejournalismus vor allem dadurch ab, dass sie ihre Leser*innen auf eine Art und Weise begleitet, wie es sonst selten im Journalismus der Fall sei: „Wenn man eine Wirtschaftsnachricht schreibt, dann weiß man danach: Das wird jetzt für die Leute wahrscheinlich ein Problem sein. Denn es ist halt eine Nachricht, die kannst du in die Welt hinausblasen und jeder weiß, ich kriege hier jetzt einfach nur die nüchternen Nachrichten. Das können wir nicht so ohne Weiteres machen“. Beim Schreiben ihrer Texte sei viel Empathie und Fingerspitzengefühl gefragt: „Man gibt sich Mühe, die Wortwahl sensibel zu gestalten, aber man bleibt natürlich trotzdem bei der Wahrheit – man lässt die Leute damit nicht allein“.
Viel Druck und noch mehr Verantwortung
Für Klöckner ist es deshalb ein zusätzlicher Schritt, den sie bei ihrer Arbeit geht, wenn sie Verantwortung übernimmt – sie nennt es ein sensibles Berichterstatten. Schließlich habe sie immer das Bild im Kopf, dass eine Person, die ihren Artikel liest, diese Erkrankung auch wirklich hat: „Man denkt sich immer, okay und was macht der jetzt mit dieser Information?“ Es sei also auch ein Druck, der auf ihr laste, denn ihre Leser*innen verlassen sich darauf, dass sie vertrauenswürdige Informationen liefere. Zu viel Verantwortung dürfe man dann aber doch nicht übernehmen, findet die Redakteurin. Unter jedem ihrer Texte weist sie deshalb darauf hin, dass ihr Artikel keine ärztliche Beratung ersetzt.
Gerade, weil sie über solche heiklen Themen schreibt, müsse sie auch bei der Recherche besonders sorgfältig sein, so Klöckner. Und diese Sorgfalt hat einen Namen: evidenzbasiertes Arbeiten. Doch was heißt das genau? Ganz grob gesagt bedeutet es, dass ihre Quellen auf der Grundlage evidenzbasierter Medizin fußen. Klar, Quellen bewusst auszuwählen und lieber einmal mehr zu checken als zu wenig, das ist in der Onlinewelt heutzutage fast jede*m ein Begriff. Aber bei evidenzbasiertem Arbeiten gehe es um mehr.
So führe sie zum Beispiel so gut wie keine Interviews, sondern arbeite immer mit den Primärquellen. Für die meisten Journalist*innen unvorstellbar, für Klöckner einfach nur logisch. „Wir vertrauen keinen Aussagen einzelner Personen und müssen uns deshalb alles, was eine Person wissen könnte, selbst erschließen. Wir müssen alle aktuellen Studien zu dem Thema zumindest einmal gesehen haben – im besten Fall gibt es aktuelle Leitlinien, ansonsten bedeutet es einfach eine intensivere Recherche und dass wir einschätzen können müssen, was eine gute und was eine schlechte Studie ist“, so Klöckner. Dass dann auch noch für einen Laien verständlich rüberzubringen, sei ein echter Balanceakt – aber auch das, was ihr Ressort ganz klar auszeichne.
Ressortrelevanz: „Gesundheit ist ein Trendthema“
Dabei ist das Gesundheitsressort noch gar nicht so alteingesessen, wie viele vermuten. Erst vergangenes Jahr hat sich t-online in Köln einen zweiten Redaktionssitz aufgebaut – mit vier Redakteurinnen, extra für den Bereich Gesundheit. Die übrigen Gesundheitsredakteur*innen sitzen in der Hauptredaktion in Berlin. Von dort aus kümmern sie sich um Aktuelles oder „weichere“ Themen wie Fitness und Ernährung, erzählt Ina Fuhrmann, die für die Geschäftsentwicklung bei t-online zuständig ist. Köln gehe da schon etwas tiefer in die Materie und sei deshalb so etwas wie die „Spezialeinheit für Qualität“, erklärt sie.
Warum kommt aber gerade dem Gesundheitsressort diese besondere Zuwendung zu? Als Medienunternehmen will t-online auch nachhaltigere Stücke produzieren. Solche Artikel gehen tiefer in die Materie und sind deshalb langlebiger. Zum Beispiel in einem Sommerloch, wenn aktuelle Nachrichten eher rar sind, baue man sich so ein zweites wirtschaftliches Standbein auf. Im Bereich Gesundheit sei der Markt besonders attraktiv. Auch die Corona-Pandemie hat das Interesse am Thema gesteigert: „Die Leute beschäftigen sich wieder viel mehr mit ihrem Körper. Gesundheit ist ein Trendthema“, so Fuhrmann. Gerade durch Long Covid seien die körperliche und mentale Gesundheit wieder in den Fokus gerückt.
Das bestätigt auch eine Studie des Unternehmens „Clark“. So gaben knapp zwei Drittel der befragten Studienteilnehmer*innen an, dass ihre Gesundheit seit der Corona-Pandemie einen höheren Stellenwert als zuvor einnehme. Aber auch abseits von Corona bestehe ein deutlicher Trend zu einem höheren Gesundheitsbewusstsein, findet Ina Fuhrmann. „Früher bin ich zum Arzt gegangen und der hat mir genau gesagt, was ich habe. Und ich habe das geschluckt und es vielleicht gar nicht verstanden. Der Patient heute ist ja viel mündiger, er will sich selbst informieren“, erklärt sie.
Das zweischneidige SEO-Schwert: Konflikt oder Chance?
Sich selbst zu informieren bedeutet für die meisten heutzutage wohl direkt den Blick ins Internet, genauer gesagt in die Suchmaschine der Wahl. Und gerade deshalb hat das World Wide Web eine ganze Menge dazu beigesteuert, dass der Servicejournalismus sich heute einer solchen Beliebtheit erfreut. Denn mit speziellen SEO-Tools (aus dem Englischen von „Search Engine Optimization“), also Online-Werkzeugen, die die Algorithmen der Suchmaschinen berücksichtigen, können Journalist*innen haargenau erfassen, welche Begriffe Nutzer*innen am häufigsten in die Suchleiste tippen. Der Traum eines/einer jede*n Journalist*in wird wahr: ganz nah am Publikum und seinen Wünschen sein, für den Servicejournalismus und seine Inhalte überlebenswichtig. Und dank solcher Tools ist es möglich, den eigenen Beitrag perfekt maßzuschneidern und „SEO-gerecht“ zu schreiben.
Ganz so perfekt ist dieses Maßschneidern dann aber doch nicht. Denn bei all der Anpassung an die Bedürfnisse der Leserschaft wird der eigene journalistische Anspruch manchmal ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, findet Lydia Klöckner. „Ich habe häufiger das Problem, dass ich denke, das wäre mal ein spannendes Thema, aber es ist einfach überhaupt nicht SEO-relevant“, erklärt sie. „Nicht SEO-relevant“ bedeutet, dass Themen oder Begriffe nicht oft genug gesucht werden, als dass es sich aus wirtschaftlicher Sicht lohnen würde, einen Beitrag darüber zu schreiben. Und das birgt natürlich auch Gefahren. „Man gibt halt thematisch nicht unbedingt neue Anreize. Und das ist ein Problem, das ich sehe“, sagt Klöckner.
Ina Fuhrmann von der Geschäftsentwicklung sieht das anders: „Es beeinflusst unsere Prioritäten, aber ich würde nicht sagen, dass es uns komplett einschränkt“. Für sie liegt in der Suchmaschinenoptimierung vielmehr eine Chance für Autor*innen: „Ich glaube, dass man durch SEO sehr viel darüber lernt, wie das Gegenüber tickt. Wir leben halt oft in unserer Blase und wissen gar nicht so genau, was die da draußen eigentlich wirklich suchen“. Durch SEO-Tools könne ein*e Autor*in also viel besser erkennen, mit welcher Erwartungshaltung eine Person jeweils auf die Suche nach Informationen geht. Außerdem bringe es keinem etwas, den tollsten Artikel zu schreiben, den dann am Ende aber niemand zu Gesicht bekommt, findet Fuhrmann. Das Ziel sei ja immer auch, etwas zu schreiben, was dann möglichst viele Menschen lesen.
Auf dem Siegertreppchen: Die Lösung für den Servicejournalismus?
Und trotzdem hält sich die Kritik an der zu großen Publikumsorientierung des Journalismus hartnäckig. Im Juli titelte der NDR in einem Beitrag über Medienkompetenz: „Diktieren Likes Journalisten die Themen?“. Das gilt nicht nur für den Servicejournalismus, aber eben auch.
Für die Zukunft findet Lydia Klöckner, dass Journalist*innen einen Kompromiss eingehen sollten: „Es wäre ja möglich, dass wir unseren Leserinnen und Lesern neue Anreize schaffen durch neue Aspekte in unseren Texten, sodass sie eben auch in eine neue Richtung denken“. So baue Klöckner häufig neue Aspekte, die sie selbst für wichtig hält, in SEO-relevante Themen ein, um Fragen aufzuwerfen, nach denen ihre Leser*innen womöglich gar nicht gesucht haben. Dem stimmt auch Ina Fuhrmann zu: „Wir müssen ja irgendwie den Punkt finden, an dem wir den Leser überzeugen, den Artikel zu lesen. Und wenn wir ihn dort haben, dann können wir ihm genau das vermitteln, was auch für uns wichtig ist. Also eigentlich ist die Kombi die Kunst.“
Und ein bisschen Staub löst sich vielleicht doch vom schlechten Image des Servicejournalismus: Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat dieses Jahr zum ersten Mal einen Journalistenpreis für die beste Berichterstattung über Verbraucherthemen verliehen. Ob Verbraucherbeiträge mit einer Trophäe in der Hand besser angesehen werden?
Der Journalismus von heute kämpft um Sichtbarkeit im Netz. Mit reißerischen Überschriften und Texten, die sich an die neuen Spielregeln der Onlinewelt angepasst haben, buhlt er darum, gesehen zu werden. Vor allem der Servicejournalismus, der sich seit jeher an den Interessen seines Publikums orientiert, ist davon betroffen und gezwungen, sich den Algorithmen anzupassen.
Prof. Dr. Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin, Autorin und Expertin für konstruktiven Journalismus – eine Berichterstattung, die nach vorne schaut und Probleme lösen will, statt sie für Clickbait auszuschlachten. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das erste deutsche lösungsorientierte Online-Magazin gegründet, das sich vollkommen ohne Werbung finanziert. Den Algorithmen anpassen muss es sich aber trotzdem. Über den Konflikt mit dem eigenen journalistischen Anspruch und die Frage: Wie konstruktiv kann Servicejournalismus unter diesen Bedingungen überhaupt sein?
Pingback: Journalismus, der Wissen schafft