Unglück, Krise und Krieg:
Immer mehr junge Menschen verweigern Nachrichten

83 Prozent der 16- bis 29-Jährigen meiden aktiv Nachrichten, weil sich die Inhalte negativ auf ihre Stimmung und ihr Weltbild auswirken. Dass junge Menschen Nachrichten ablehnen, ist ein reales Problem für den Journalismus. Doch den Medienschaffenden allein die Schuld dafür zu geben, funktioniert nicht, denn die Wahrheit ist laut Medienpsychologin Ulrike Schwertberger eine andere. Das Stichwort: Medienhygiene.

Schlechte Nachrichten sind alltäglich – und fühlen sich durch Krisen wie die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg oder den Klimawandel immer näher und immer bedrohlicher an. 52 Prozent der 16- bis 29-Jährigen in mehreren Ländern Europas denken, dass es ihnen in ihrem Leben schlechter gehen wird als ihren Eltern. Die Folge: „Die Menschen verzichten auf Nachrichten. Sie würden am liebsten gar keine Informationen mehr erhalten, um ihre Überforderung und die negativen Emotionen, die sie durch den ständigen Informationsfluss über Krisen durchmachen, vermeiden zu können“, erklärt Ulrike Schwertberger.

Doom-Scrolling: Zwanghafter Konsum negativer Nachrichten

Es gab schon immer Unglücke, Krisen und Kriege, über die berichtet wurde. Doch was es nicht schon immer gab, sind die sozialen Medien. Auf Instagram, Facebook, Twitter und Co. sind Informationen nicht nur immer und überall vom Smartphone aus abrufbar – sie sind oft auch ungefiltert und unsachlich, da jede:r Nutzer:in die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Inhalten hat. „Um möglichst viele Informationen zu erhalten, die Nachrichtenlage ständig im Blick zu behalten und alle Aufmerksamkeit auf diese Informationen zu richten, reagieren Menschen beispielsweise mit Doom-Scrolling auf Zukunftsängste oder Unsicherheiten, die durch Nachrichten ausgelöst werden. Darunter versteht man den exzessiven und oft schon zwanghaften Konsum negativer Nachrichten, obwohl die Menschen genau wissen, dass ihnen das nicht guttut“, so die Medienpsychologin. Dieses Phänomen lässt sich laut der Expertin, zumindest zum Teil, evolutionär begründen. Früher sicherten Informationen über mögliche Gefahren, wie beispielsweise ein Fressfeind in unmittelbarer Nähe, das Überleben des Menschen.

Der Unterschied: Früher hatten die Menschen kein Internet und somit keinen dauerhaften Zugriff auf Informationen über mögliche Gefahren. Heutzutage führt die Flut an negativen Nachrichten, der sich Mediennutzende durch Doom-Scrolling aussetzen, schnell zu einem Zustand, in dem sie von zu vielen Informationen überfordert sind. „Wir können Informationen in diesem ,Overload‘-Zustand nicht mehr gut verarbeiten. Vor allem junge Menschen, die sowieso schon viel Zeit am Smartphone verbringen, sind teils nicht mehr in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen und zum Beispiel beschwichtigende Argumente in Informationstexten aufzunehmen oder das Handy komplett wegzulegen.“ Laut einer Studie des VOCER Instituts für Digitale Resilienz erachtet es knapp die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen als sinnvoll, die digitale Medienzeit, vor allem in sozialen Medien, zu verringern. Die Umsetzung fällt ihnen jedoch meist schwer. Aus Sicht der Medienpsychologin ist ein ,Information-Overload‘ äußerst problematisch: „Wenn sich trotz eines Gefühls der Überforderung weiter auf die negativen Informationen eines Ereignisses konzentriert wird, wird die Überforderung mit dem Informationsfluss und somit die negativen Emotionen stärker. Das Ergebnis: News Avoidance und Angst.“ Und das zeigen auch die Zahlen: Mehr als 60 Prozent der 14- bis 29-Jährigen gaben an, beim Scrollen durch Instagram negative Gefühle zu empfinden.

Vermeiden von beiläufiger, exzessiver und zielloser Nutzung

Wer bemerkt, dass er während oder nach dem Medienkonsum immer wieder überfordert, gestresst und schlecht gestimmt ist, sollte sich zunächst einmal bewusst machen: Jede Mediennutzung verbraucht kognitive Ressourcen und je mehr wir davon verbrauchen, desto schwieriger wird es, mit den Informationen, die wir durch die Mediennutzung erhalten, umzugehen. Nachrichten beeinflussen also die Stimmung. Um die psychische Widerstandskraft bei der Mediennutzung zu erhöhen, ergibt es laut Ulrike Schwertberger Sinn, den Nachrichtenkonsum zu regulieren und sich bewusst Zeit zum Informieren zu nehmen. Hilfreich sind dabei beispielsweise festgelegte Zeitfenster am Tag, das Deaktivieren von Push-Benachrichtigungen oder die Nutzung von Tracking-Apps. Es geht dabei voranging um bewussten Medienkonsum und das Vermeiden von beiläufiger, exzessiver und zielloser Nutzung. Überfordert auch regulierter Konsum, setzt Ulrike Schwertberger auf eines: „Smartphone weg, Laptop zuklappen und Fernseher aus und das machen, was guttut und positive Gedanken und Gefühle freisetzt. Morgen ist auch noch ein Tag, an dem man sich informieren kann. Und übermorgen auch.“

Schlechte Nachrichten in Vollzeit: Wie geht man als News-Redakteurin mit dieser Belastung um?

Liesa Wölm schreibt seit vier Jahren als News-Redakteurin für t-online. In ihrem Arbeitsalltag beschäftigt sich die 28-Jährige fast durchgehend mit Krieg, Unglück und Ungerechtigkeit. Die Leser:innen ihrer Artikel können selbst entscheiden, wie oft und wie viel sie sich mit belastenden Themen beschäftigen möchten. Das kann Liesa aufgrund ihres Berufs nicht – bei schrecklichen Ereignissen muss sie, wie bei allen wichtigen Vorfällen, so schnell wie möglich recherchieren und berichten. Wie sie mit der negativen Nachrichtenflut umgeht und was sie tut, wenn es mal besonders heftig ist – das hat sie uns im Interview erzählt.

Welche Verantwortung der Journalismus bezüglich Nachrichtenmüdigkeit hat, hat Ranty Islam hier im Interview erzählt.

Autor

  • Jolanda Ost

    Geboren in Düsseldorf, hat Jolanda in Köln nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Leidenschaft für den Journalismus gefunden. Am liebsten schreibt und spricht sie über vegane Ernährung und Frauengesundheit.

1 Kommentar zu „Unglück, Krise und Krieg: Immer mehr junge Menschen verweigern Nachrichten“

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