„Wir produzieren, wir analysieren, wir hinterfragen kritisch” 

Medienkunde neu denken – wie eine Gesamtschule in Hessen medienethische Kompetenzen vermittelt

Medienkunde an Schulen

Daniel Jäger, Lehrer für Englisch und Erdkunde, arbeitet seit über 20 Jahren an der Kopernikusschule Freigericht. Seit acht Jahren ist er zusätzlich Ansprechpartner für alle Angelegenheiten rund um das Thema Medien und unterrichtet das Fach Medienkunde. Die Integration von Medien in das schulische Curriculum ist kein neues Thema für die Kooperative Gesamtschule mitten in Hessen. Ursprünglich wurde vor 15 Jahren das Fach Mediengestaltung eingeführt, wobei der Fokus auf gestalterischen Themen lag. Daraus entwickelte sich „Medienkunde” – ein verpflichtendes Fach des Stundenplans aller Fünft- und Siebtklässler:innen des Gymnasiums und aller Sechstklässler:innen der Realschule. Doch was genau steckt hinter dem Fach? Darüber haben wir mit Daniel Jäger gesprochen.  

Welche Inhalte umfasst das Fach Medienkunde? 

Zunächst einmal müssen wir über den Begriff „Medienkunde” sprechen, denn das ganze fing so an: Wir haben über die Jahre festgestellt, dass wir ein Fach benötigen, das nicht Informatik ist. So entstand das Fach Medienkunde, wobei diese Begrifflichkeit, wie gesagt, nicht ausreicht. Es geht nämlich nicht nur darum, Kompetenzen rund um das Thema digitale Kenntnisse zu erlangen, sondern vor allem Sensibilität für medienethische Themen zu vermitteln. Unsere Unterrichtsstunde umfasst beispielsweise PowerPoint-Training, aber auch selbstreflexive Fragestellungen, wie: „Welche Folgen hat das Versenden eines Dickpics?” Wir produzieren, wir analysieren, wir hinterfragen kritisch. Das sind die Kernkompetenzen, die wir vermitteln möchten. 

Warum ist medienethische Erziehung von Schüler:innen so wichtig? 

Unsere Schüler:innen sind bereits in jungen Jahren an das Internet angedockt und konsumieren teilweise Inhalte, ohne diese zu hinterfragen. Die Schüler:innen können noch gar nicht korrekt recherchieren. Sie müssen zum Beispiel erst lernen, die zweite Seite der Google-Ergebnisse anschauen. Auch die allgegenwärtige KI, zum Beispiel ein Programm wie ChatGPT, ist ein Thema, das aktuell von uns behandelt wird. Wir müssen die Schüler:innen befähigen, die richtigen Fragen zu stellen und diese auch einzuordnen. Das kann für andere Fächer hilfreich sein.  

Zu sehen ist der Medienkundelehrer Daniel Jäger.
© Daniel Jäger

Die Medienkompetenz ist ein wichtiger Faktor in den meisten Unterrichtsfächern. 

Daniel Jäger

Wie funktioniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medienkunde mit anderen Fächern? 

Ich bin der Meinung, dass Medienkunde nicht als alleinstehendes Fach unterrichtet werden sollte, sondern immer in Verknüpfung mit anderen Fächern. Grundsätzlich ist das bei uns auch der Fall. Wir versuchen immer, an andere Fächer anzudocken. Ein Beispiel hierfür ist das Fach Deutsch – wenn es um Reportagen geht. Hier stellen sich essenzielle Fragen: Wie recherchiere ich? Was recherchiere ich? Was recherchiere ich wie? Das sind alles Themen, die Schüler:innen erst lernen müssen. Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung von Audio- oder Videobeiträgen für die Fremdsprachen, zum Beispiel in Englisch. Die Medienkompetenz ist ein wichtiger Faktor in den meisten Unterrichtsfächern. 

Wieso ist Medienkunde an Schulen relevanter als noch vor einigen Jahren?

Medienkunde ist ein unverzichtbares Fach, heute mehr denn je! Egal welchen Bildungsabschluss ein:e Schüler:in verfolgt, die Basics müssen sitzen. Auf der einen Seite bezieht sich das auf digitale Fertigkeiten. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, dass Schüler:innen mündige Bürger:innen werden, indem sie eine Medienkritik entwickeln.   

Wie wird das Unterrichtsfach Medienkunde von den Schüler:innen angenommen?

Das Interesse seitens der Schüler:innen ist groß. Alles, wo Medien draufsteht, klingt erst einmal attraktiv. Interessant wird es vor allem dann, wenn man journalistische Aspekte oder auch Themen wie Fake News und Influencer, aufgreift. Die Schüler:innen schauen sich verschiedene Quellen an und stoßen auf Nachrichten, die sie nicht direkt einordnen können. Hierbei ist vielen Schüler:innen gar nicht bewusst, wie sie in ihrem alltäglichen Leben damit konfrontiert werden. Eine eigene kritische Haltung zu entwickeln, steht im Fokus unseres Unterrichts.   

„Wir Lehrkräfte müssen mit den Eltern zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen” 

Daniel Jäger

Welche weiteren Inhalte sind in den letzten Jahren dazugekommen? 

Da ist gerade im Bereich Social Media merklich etwas dazugekommen. Alle internetbasierten Technologien, wie Handys oder Tablets, bergen Risiken, die vielen nicht bewusst sind. Die Schüler:innen, die Medien nutzen, werden natürlich immer jünger, und nutzen immer früher Social Media, weswegen auch die Medienkompetenz immer früher erlernt werden muss. Hier kommen teilweise Schüler in die fünfte Klasse und haben das neueste Smartphone, aber gar keinen richtigen Umgang damit gelernt. Sie benutzen das überhaupt nicht kritisch. Klar, sie wissen, dass WhatsApp ab 16 Jahren ist, aber ganz ehrlich: Das ist ihnen und auch den Eltern egal. Ich sehe Schüler:innen schulisch scheitern und frage sie dann, wieviel Zeit sie mit Medien verbringen. Das sind keine zwei bis drei Stunden, die sie täglich Soziale Medien konsumieren, sondern acht bis neun Stunden. Das ist bedenklich, gerade wenn die Medienkompetenz fehlt. Aus diesem Grund haben wir einen Elternabend zu Beginn der fünften Klasse eingeführt, um auch mit den Eltern hinsichtlich der Sensibilisierung der Medienkompetenz ihrer Kinder in Kontakt zu treten. Wir Lehrkräfte müssen mit den Eltern zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen.  

Werden auch sensible Themen, wie Cyber Mobbing, im Unterricht behandelt?

Themen wie Cybermobbing sind Pflichtmodule in der fünften Klasse. Das Thema Mobbing war natürlich schon immer ein Thema, aber hatte vor 15 Jahren deutlich weniger Reichweite und dadurch eine andere Qualität. Den Schüler:innen ist nicht bewusst, welche weitreichenden Folgen Postings besitzen, unter anderem auch für spätere berufliche Situationen. Das Internet vergisst nicht. Sensibler Umgang mit solchen Themen wird aber durchweg bis zur Oberstufe immer wieder thematisiert.  

Inwiefern kann der Medienkundeunterricht dabei helfen, eine zukünftige Generation von Journalist:innen zu erziehen?

Medienkunde kann dazu einiges beitragen. Wenn sich Schüler:innen für den Journalismus als Beruf entscheiden, sind auch sie vorher zur Schule gegangen und haben im besten Fall Medienkompetenzen in der Schule erlernt. Irgendwann muss eine Basis gelegt werden, um medienethische Grundlagen zu verinnerlichen. Generell hilft die Integration des Themenblocks Medienkunde aber vor allem dabei, eine kritische und reflektierende Haltung gegenüber dem Journalismus einzunehmen und sich in Bezug auf Medieninhalte ethisch zu verhalten. Unsere Idealvorstellung eines jeden Kindes wäre, wenn sie das erworbene Wissen im Bereich der Medienkompetenz verinnerlichen und in ihrem späteren Leben nutzen. Nur so können sie mündig agieren.  

 

 

 

Autor

  • Alina Schunk

    Kein Weg ist zu weit, ihren Traum vom Journalismus zu erfüllen. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte Alina in der Schulzeit, ebenso den Hang zum Theatralischen. Fun Fact: Letztes Jahr hat sie 75 Bücher gelesen.

3 Kommentare zu „„Wir produzieren, wir analysieren, wir hinterfragen kritisch” “

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