Influencer – die neuen Journalist:innen?
Von der Angst, ersetzt zu werden
Journalistische Arbeit findet längst nicht mehr nur in Zeitungen, Radio oder Fernsehen statt. Mittlerweile haben sich Videoplattformen wie YouTube oder TikTok für ihre Nutzer:innen zu vertrauenswürdigen Informationsquellen entwickelt. In Zeiten von Social Media heißen die neuen Journalist:innen MrWissen2go, Rezo oder Alicia Joe, befürchten etablierte Medienschaffende. Doch wie begründet ist die Angst vor dem eigenen Wertverlust? Entscheiden Klickzahlen und Likes allein über publizistische Relevanz und welche Rolle spielen journalistische Standards auf Social Media?
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […]“, so der Artikel 5 des Grundgesetzes. Journalist:innen wie auch Influencer in Deutschland machen genau das täglich – mit dem Unterschied, dass letzteren immer wieder mangelnde Professionalität vorgeworfen wird. YouTuber, wie Rezo mit 1,06 Millionen Abonnent:innen, würden „[…] keinen journalistisch wertvollen Job machen, sondern lediglich irrelevante Pseudo-News für ein paar Klicks […].“, verurteilt beispielsweise die Frankfurter Allgemeinen Zeitung Rezos Verhalten. Der YouTuber hatte zuvor eine Anfrage der Tageszeitung für ein Statement zur Flugzeugnutzung der Gäste aus seinen Videos abgelehnt. Eine Absage, die scheinbar von einigen Redakteur:innen als persönlicher Angriff gewertet worden ist.
Als Influencer (engl. to influence = beeinflussen, einwirken, prägen) werden Personen bezeichnet, die aus eigenem Antrieb Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) zu einem Themengebiet in hoher und regelmäßiger Frequenz veröffentlichen und damit eine soziale Interaktion initiieren. Dies erfolgt über internetbasierte Kommunikationskanäle wie Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, YouTube, Snapchat oder Twitter. Influencer ragen aus der Masse der Social-Media-Nutzer:innen heraus, da sie mit ihrer Tätigkeit hohe Reichweiten erzielen.
Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon
Einfach nur die eigene Meinung auf einer niedrigschwelligen Videoplattform zu verbreiten, entspreche keinesfalls journalistischen Standards: „Recherchefleiß und 55 Minuten eine Position vertreten, mache noch lange keinen rasenden Reporter aus – schon gar nicht auf YouTube“, schreibt die Bild-Zeitung über Rezo, der 2020 den Henri-Nannen-Preis für sein Video Die Zerstörung der CDU gewinnt.
Die Berufsbezeichnung Journalist:in ist in Deutschland nicht geschützt, da sie keinen konkreten Ausbildungsweg voraussetzt. Man muss sie sich daher selbst erarbeiten. Dass Influencer mehr können als nur Produkte in die Kamera zu halten, stellt YouTuber Alexander Prinz klar, der als der Dunkle Parabelritter zweimal wöchentlich seine Meinung zu aktuellen Kulturthemen veröffentlicht. Er sagt: „Recherche, Aufbereitung, Dreh, Schnitt – es kommt einiges zusammen. Ein Full-Time-Job, der manchmal mein Leben komplett auffrisst.“
Gar nicht so verschieden
Vor allem in der Recherche- bzw. Aufbereitungsphase unterscheidet sich die Arbeit von Influencern und Journalist:innen wenig. Beide tragen Informationen anderer Quellen zusammen, um sie aufbereitet an ihre Rezipient:innen weiterzugeben. Dabei sind journalistische Standards wie das Zwei-Quellen-Prinzip für Influencer zwar nicht verpflichtend, stehen aber auch auf Social Media für Qualität. Obwohl journalistisches Arbeiten im Internet genauso stattfinden kann wie bei etablierten Medien, gibt es dennoch Besonderheiten bei der Content-Erstellung.
Davon und von seinem intensiven Arbeitsalltag als YouTuber erzählt Mikro Drotschmann – besser bekannt als MrWissen2go. Seit 2012 bietet er rund zwei Millionen Abonent:innen auf seinem gleichnamigen Hauptkanal „spannendes Allgemeinwissen rund um Politik, Geschichte und das aktuelle Zeitgeschehen“. Während er für MrWissen2go die Skripte selbst schreibt und umsetzt, ist er für die Kanäle MrWissen2go Geschichte und Terra X History (ZDF) als Moderator und Reporter tätig.
Mirko Drotschmann, auf YouTube besser bekannt als MrWissen2go, berichtet von den Besonderheiten bei der Content-Erstellung für Videoplattformen. Er unterscheidet dabei die journalistische Arbeit für YouTube von der für etablierte Medien.
Alles eine Frage der Vermittlung
Wie Influencer mit ihren Followern interagieren, wird bedingt durch ihre Nahbarkeit und Reichweite auf Social Media. Das unterscheidet sie stark von Journalist:innen der etablierten Medien. Über ein erfolgreiches Community-Management können YouTuber wie Mirko Drotschmann ihre Abozahlen erhöhen und Clicks generieren. Je mehr ein Beitrag auf YouTube geklickt wird, für umso relevanter halten ihn die Algorithmen und umso mehr wird er den Nutzer:innen im Netz angezeigt. „Nutzer:innen können Fragen stellen, Themen vorschlagen, selbst zu Protagonist:innen werden, Kritik äußern…“, antwortet Helene Reiner, Moderatorin des Social Media-Formats News-WG vom Bayerischen Rundfunk. Das erzeugt scheinbar eine freundschaftliche Nähe zwischen Influencern und ihren Followern – ein psychologischer Effekt, der sich parasoziale Interaktion nennt. Konstruktive Kritik sei auch auf YouTube gern gesehen, damit Influencer besser auf die Wünsche ihrer Zuschauerschaft eingehen können, sagt Mirko Drotschmann. „Sei offen für Kritik und ganz wichtig: Bezieh die Community mit ein!“, betont auch Helena Reiner. Von negativen Kommentaren jedoch sollten sich Influencer nie unterkriegen lassen, sagt sie weiter, – auch wenn diese im anonymen Netz oft unter die Gürtellinie gehen können.
Wenn es um die Vermittlung von Inhalten auf YouTube geht, glaubt Mirko Drotschmann nicht, dass sie sich stark von der bei etablierten Medien unterscheidet. Viel wichtiger ist für ihn die Resonanz, die auf seine Videos im Netz folgt. Er sagt selbst, dass es natürlich einen Unterschied macht, einen einzelnen Leserbrief nach einer TV-Sendung zu erhalten, im Vergleich zu hunderten Kommentaren auf YouTube.
Die perfekte Symbiose
Journalistisch zu arbeiten ist auch auf Social Media nicht verboten, trotzdem hält sich ein Argument hartnäckig: Etablierte Medienschaffende sehen in einer journalistischen Ausbildung das Kriterium, was „richtige“ Journalist:innen ausmacht. Dabei wollen einige Influencer, wie z.B. Rezo, gar keine Journalist:innen sein. Sie werden nur von außen für solche gehalten, worin Mirko Drotschmann eine Gefahr sieht: journalistische Standards würden verwässern und jeglicher Inhalt wirke auf Social Media erst einmal glaubwürdig. Medienkompetenzen bereits in der Grundschule zu vermitteln, sei für ihn die Lösung, um einen reflektierten Umgang mit den neuen Medien im digitalen Zeitalter zu fördern.
Influencer schaffen mit ihren Online-Formaten einen journalistischen Mehrwert, ohne dabei den bisherigen Journalismus anzugreifen. Auch YouTuber Alexander Prinz sagt hierzu: „Ich sehe mich da nicht. Ich würde das, was ich mache, eher als politische und gesellschaftliche Kommunikation bezeichnen.“ Eine neue Art der Kommunikation, die auch Journalist:innen zukünftig nutzen wollen. Die Tagesschau beispielsweise hat erkannt: Um das junge Publikum nachhaltig für sich zu gewinnen, müssen etablierte Medienschaffende zusätzlich auf Social Media präsent sein. Und wer könnte sie dabei besser unterstützen als die Influencer? In der Folge werden Influencer vermehrt in TV-Sendungen eingeladen, um einer Debatte durch ein bekanntes Gesicht, Glaubwürdigkeit zu verleihen. Influencer sind neuerdings Grenzgänger:innen, die eine Brücke zwischen alteingesessenen Medienhäusern und Online-Plattformen schlagen. Selbstdarstellung, um den eigenen Marktwert zu erhöhen – eine Strategie, die auch Journalist:innen erkannt haben.
Auf der anderen Seite beziehen sich Influencer bei ihrer Themenrecherche auf die Veröffentlichungen von Journalist:innen. Eine sorgfältige Quellenprüfung überlassen sie dabei ebenfalls lieber den etablierten Medienschaffenden. Wenn sogar die Konkurrenz die eigenen Publikationen besonders wertschätzt, ist dann die Angst vor dem eigenen Wertverlust gerechtfertigt?
Mirko Drotschmann sieht in den Influencern auf Social Media einfach eine andere Form der Informationsweitergabe. Er beschreibt, wie ungewohnt gerade die große Online-Resonanz immer noch für seine Kolleg:innen aus den etablierten Medien ist. Ein offenes und transparentes Auftreten sollten auch alteingesessene Medienschaffende nie aus dem Blick verlieren. Außerdem steht für Mirko Drotschmann die Vermittlung von Medienkompetenzen an erster Stelle.
Influencer beabsichtigen nicht, journalistische Qualitätsstandards zu untergraben. Ihre Beiträge stellen vielmehr eine Erweiterung dar. Das sehen scheinbar nicht nur die befragten Influencer, sondern auch ihre Follower so. Klassischer Journalismus hat im alltäglichen Leben immer noch einen hohen Stellenwert – auch bei jüngeren Zielgruppen. Diese konsumieren sowohl den Content ihrer Lieblingsinfluencer als auch die etablierten Medien. Eine interessante Mischung, die vermehrt auf Social Media stattfindet, und vom Smartphone überall und zu jeder Zeit abrufbar ist.
Influencer bedrohen also keinesfalls die Existenz der etablierten Medien. Umgekehrt können sie ihnen sogar dabei helfen, ihre bisherige Position zu festigen – natürlich nur, wenn auch die etablierten Medien diese Chance erkennen und nicht aus Angst vor allem Neuen ihre Augen davor verschließen.
Für die Befragten in der Kölner Innenstadt ist klar, dass eine journalistische Ausbildung weiterhin den Unterschied macht. Außerdem sind Unabhängigkeit und eine geprüfte Recherche wichtige Kriterien für guten Journalismus. Influencer liefern meistens eine nähere Perspektive zu einer Thematik, dennoch müssen aus der Sicht der Befragten etablierte Medienschaffende keine Angst haben, ersetzt zu werden. Influencer können zukünftig eher als eine Erweiterung für den Journalismus fungieren.
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