Geht es Ihnen noch gut? Brief an mächtige Männer im Journalismus

Sehr geehrte Herren des Boys-Club,

ich bin angehende Journalistin. Von vielen Seiten ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie junge Journalistinnen mit einem ausgesprochen großen Engagement fördern. Mit ihrer Förderung könnte ich bestimmt schnell auf der Karriereleiter aufsteigen. Ohne die richtigen Kontakte, die mir als Einsteigerin gute und lukrative Jobs vermitteln, lässt der Erfolg in der Branche oft sehr lange auf sich warten. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen. Ihnen ist die Lage junger Journalistinnen schon längst bewusst. Sie haben auch erkannt, wie einfach Sie diese ausnutzen können. Ganz schön clever von Ihnen, Ihre Förderungen an Bedingungen zu knüpfen, mit denen Sie offensichtlich Ihre Macht missbrauchen. Aber wer so mächtig ist, muss ja zwangsläufig mindestens genauso clever sein…  Jungen Journalistinnen bleibt oft nichts anderes übrig, als diese Bedingungen zu akzeptieren, wenn sie sich in Ihrem Unternehmen einen Namen machen wollen. Auf der Suche nach Aufstiegsmöglichkeiten geraten Berufseinsteigerinnen branchenweit an überlegene, männliche Journalisten wie Sie. Unterstützung sichern Sie ihnen gnädigerweise dann zu, wenn die Frauen Ihre anzüglichen Kommentare oder Berührungen ertragen und sich dem System toxischer Führungskulturen unterwerfen. Was ist denn auch schon dabei, von seinem Chef belästigt zu werden? Ist doch alles nur Spaß, würden Sie sagen.

Wirklich? Für viele Berufseinsteigerinnen wie mich ist es das eben nicht! Deshalb kann ich Ihre Förderung – auch wenn ich noch so hervorragend in Ihr Beuteschema passe – unmöglich in Anspruch nehmen. Verschenktes Potenzial würden Sie das bestimmt nennen. Ich nenne es längst überfällig, dass sich immer mehr junge Frauen und andere Menschen, die unter Machtmissbrauch leiden, gegen Ihr System stellen.

Vielmehr noch ist es überfällig, dass Sie mit Ihrem Machtmissbrauch aufhören. Ich möchte in keiner Branche arbeiten, in der ich für mein Aussehen, meine private Verfügbarkeit und meine Bereitschaft, selbst ein Teil des Systems zu werden, beurteilt werde. Allein meine journalistische Leistung und mein journalistisches Talent sollen zählen. Deshalb erwarte ich von Ihnen, dass Sie sofort Verantwortung für Ihr Verhalten übernehmen. Sie sollten es reflektieren, gegebenenfalls angemessene Entschuldigungen aussprechen, Entschädigungen leisten und Ihre Bewertungsmaßstäbe überarbeiten. In der ganzen Journalismus-Branche müssen Sie einen Code of Conduct einführen, der jegliche Vorfälle von Machtmissbrauch untersagt. Ihre Compliance Verfahren müssen Opfer schützen, anstatt sie zu bestrafen.

Es ist Ihre Aufgabe – angesichts der Macht, die Ihnen zur Verfügung steht – die Branche von dem systemischen Machtmissbrauch zu bereinigen. Sie fürchten sich davor, ein solcher Wandel könnte Sie möglicherweise Ihre Deutungshoheit oder sogar Ihren Job kosten? Wenn Sie keine fairen Arbeitsbedingungen wollen, wären eine Frührente oder eine Therapie der nächste richtige Karriereschritt für Sie. So viel Geld, wie Sie verdient haben, können Sie sich das mit Sicherheit leisten.

Worauf warten Sie noch? Setzen Sie sich dafür ein, dass kein einziger MeToo-Fall in der Medienbranche mehr aufgedeckt werden muss! Dann können Sie tatsächlich mal ein Held sein…

Mit freundlichen Grüßen

Lisa Vogt

Informationen zum Thema Machtmissbrauch in der Medienbranche bekommst du hier

Autor

  • Lisa Vogt

    Als Kind hat Lisa ihre Familie interviewt. Heute fragt sie Gesprächspartner:innen eher selten nach der Lieblings-farbe. Ob beim NDR, bei Endemol Shine Germany oder RTL News – Medienerfahrungen hat sie schon einige.

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