Der Lokaljournalismus der Zukunft
Wie Lokalmedien wichtig bleiben
Der Lokaljournalismus steht vor großen Herausforderungen. Sinkende Auflagen und Medienverdrossenheit sind Symptome einer sich im Wandel befindlichen Branche. Medienwissenschaftler:innen und Journalist:innen geben einen Ausblick zur Zukunft des Lokaljournalismus.
Schaut man sich die Auflagen von Lokalzeitungen der letzten zehn Jahre an, scheint es nur eine Richtung zu geben. Im Jahr 2000 wurden noch durchschnittlich 16,6 Millionen Ausgaben je Publikation und Jahr verkauft, 2022 waren es nur noch 9,5 Millionen.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Nachrichten sind digital verfügbar, der Umweg über Verkaufsstellen oder teure Abonnements ist nicht mehr nötig. Die Finanzierung von Lokalblättern über den Werbemarkt wird für Unternehmen auch immer weniger interessant, der wird von Konzernen wie Meta oder Google übernommen. Auch Kleinanzeigen gibt es viel bequemer online, hier muss niemand mehr durch Papier blättern. Daraus könnte man folgern: Lokaljournalismus wird weniger wichtig.
Sara Pichireddu sieht das anders. Die 28-Jährige ist Redakteurin beim Kölner Stadtanzeiger, hat ihr Volontariat bei der Lokalzeitung absolviert. Eigentlich wollte sie nicht für eine Lokalzeitung schreiben, den Lokaljournalismus nur als Einstieg nutzen. Doch jetzt sieht sie große Verpflichtungen bei Medien vor Ort. „Nichts kann den Lokaljournalismus ersetzen“, sagt Pichireddu. Denn wer soll auch sonst berichten, über Themen, die vor der Haustür passieren und nicht für die ganze Republik relevant sind?
Welche Rolle hat Lokaljournalismus?
Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie, sie sieht die Rolle des modernen Journalismus nicht mehr in der Bereitstellung von Informationen, diese seien digital ohnehin jederzeit verfügbar. Leser:innen müssen nicht mehr auf den nächsten Morgen warten, um ein druckfrisches Exemplar einer Tageszeitung lesen zu können. Digitale Medien verursachen so eine Informationsflut, welche Rezipient:innen und Journalist:innen gleichermaßen überfordert, so Urner. Moderner Journalismus habe vielmehr eine neue Aufgabe: die Einordnung dieser Informationen.
Mit dieser neuen Aufgabe steigen aber auch die Anforderungen an Redakteure und Reporter. Und steigende Anforderungen bedeuten einen erhöhten Arbeitsaufwand. Doch schon heute ist Personalmangel in den Redaktionen ein Problem. Denn die Seiten müssen gefüllt werden – sowohl digital als auch im Druck. Oft werden deshalb nur noch Meldungen von Presseagenturen übernommen: kopiert, eingefügt und fertig. Das erfordert kaum journalistische Fähigkeiten. Für lokale Nachrichten müssen Journalisten öfter eigene Kompetenzen beweisen: selber recherchieren, aufarbeiten und schreiben.
Lokaljournalismus berührt
Eine der Eigenschaften von überregionalem Journalismus ist die Abstraktheit der Themen, über die berichtet wird. Ob Erdbeben in Südostasien oder Börsennachrichten aus Amerika – Meldungen darüber haben zumeist keinen Einfluss auf die Lebensrealität der Leser:innen. Sogenannte Nachrichtenfaktoren definieren dann, welche dieser Themen uns überhaupt erreichen. Oft sind diese dann noch mit großer negativer Sensationslust verbunden: Das Tauchboot-Unglück des privaten Unternehmens Ocean Gate ist nur eines der aktuellen Beispiele für diese Sensationslust am Negativen.
Ganz anders kann das im Lokaljournalismus aussehen, hier haben Nachrichten oft direkte Auswirkungen auf unseren Alltag. Auch Lokalredakteurin Pichireddu begeistert vor allem, die Menschen zu repräsentieren, auf deren Lebensrealität der Inhalt ihrer Berichterstattung große Auswirkungen hat. Als Beispiel hierfür nennt sie die aufwendigen Recherchearbeiten, die ihre Redaktion zum Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln geleistet hat: „Hier konnten wir wirklich etwas bewirken“.
Lokaljournalismus verbindet
Lokalmedien sind Bindeglied zwischen Bevölkerung und Akteuren einer Region. Diese Akteure können Unternehmen, Kommunen und Städte sein. Diese Planungen für Bauvorhaben, Infrastruktur oder Veranstaltungen sind für Bürger:innen oft knifflig zu überblicken. Die schwer vorankommende Digitalisierung deutscher Behörden erschwert es zusätzlich, Informationen einzuholen. Wer in der Region Köln bei Google nach öffentlichen Bauplänen der Stadt sucht, landet schnell auf Seiten lokaler Medien.
Anica Tischler, ebenfalls Redakteurin beim Kölner Stadtanzeiger, ist ähnlich wie Pichireddu im Lokaljournalismus hängen geblieben. Sie wollte klassischen Journalismus lernen, hat ihr Volontariat bei einer kleinen Redaktion des Blattes im Rhein-Erft-Kreis absolviert. Ihr gefällt das Selbsterstellte am Lokalen, der Hands-On-Charakter der Arbeit.
Auch vor der Region Köln hat das Zeitungssterben nicht Halt gemacht, nur noch die Redaktion des Kölner Stadt Anzeigers ist übriggeblieben. Es gibt also keine Konkurrenz, niemand kontrolliert mehr die Kontrollinstanz. Anica Tischler findet das nicht gut. Sie sagt, dass man sich wohl früher mehr anstrengen musste. Man hat schneller vor Ort sein und dann schneller als die Konkurrenz einen besseren Artikel schreiben müssen. Allerdings sieht sie einen Mangel an Rivalität im Lokalen nicht ganz so kritisch: Hier seien die Themen nicht so entscheidend wie in Berlin. Und dennoch: Meinungspluralismus wäre auch hier wünschenswert. Dieser gehört aber zumindest im Lokaljournalismus in weiten Teilen Deutschlands wohl der Vergangenheit an.
Konstruktives Denken als Lösung?
Maren Urner forscht gezielt, was Lokaljournalismus ausmacht. Sie fordert, dass Lokaljournalismus konstruktiver wird und nicht nur genau die Geschichten bringt, die sich Leser:innen wünschen. Wie das im Detail aussehen kann, hat sie in einem Aufsatz für die Friedrich-Ebert-Stiftung festgehalten. Negative Themen sollen nicht vermieden werden, sie wünscht sich aber insbesondere im Lokalen einen anderen Umgang mit Negativität. Dabei sollen vor allem Lösungen angeboten werden: Das sollte laut Urner nachhaltig gegen Medienverdrossenheit wirken.
Urners Leitfrage für diesen konstruktiven Journalismus lautet: Was jetzt? Mit dieser Leitfrage verbunden ist auch ein neues Mindset, so Urner. Lokale Medien sollen einen Ausblick geben, wie sich die direkte Umgebung der Leser:innen verbessern kann und was genau dafür getan werden muss. Einen höheren Aufwand für die ohnehin schon dünn besetzten Redaktionen bedeutet diese zusätzliche Aufgabe jedoch auch. Die Machbarkeit auf breiter Ebene würde eben auch wieder einen wichtiger werdenden Lokaljournalismus erfordern.
Der Lokaljournalismus steht vor großen Herausforderungen, befindet sich seit Jahren schon im Wandel. Um weiterhin zukunftsfähig zu bleiben, wird er sich in Teilen neu erfinden müssen. Davon profitieren könnten am Ende alle: Leser:innen könnten besser und vor allem anders informiert sein. Konstruktiv-kritische Ansätze böten nicht nur Stoff zur Diskussion, sondern klare Handlungsempfehlungen. Der Lokaljournalismus der Zukunft setzt auf Mitbestimmung und Inklusion, mit dem Gemeinschaftswohl vor Augen. Auch wenn dann die Auflagen gedruckter Zeitungen nicht mehr steigen, kann Lokaljournalismus dann auch vielleicht wieder mehr Menschen erreichen.