Die Belastungsgrenze ist erreicht
Coronapandemie, Inflation und Krieg in der Ukraine – der Journalismus arbeitet sich in den letzten Jahren von einem Desaster zum Nächsten. In einer globalisierten und digitalen Nachrichtenwelt steigt der Druck auf Journalist*innen immer weiter an. Sie sollen schneller, genauer und besser sein, während ihre Arbeitgeber gleichzeitig mit schwindenden Umsätzen kämpfen. Wie sollen Journalist*Innen unter diesen Umständen eine qualitative Berichterstattung leisten und können sie das überhaupt?
Neue Anforderungen an einen neuen Journalismus
In einer aktuellen Studie der Otto Brenner Stiftung zur Transformation der Medien nannten die befragten Journalist*innen bezüglich ihrer Arbeitssituation am häufigsten die Arbeitsverdichtung und die Veränderung der professionellen Anforderungen als Probleme. Die Aufgaben, die sich früher auf mehrere Schultern verteilten, übernehmen einzelne Medienschaffenden mittlerweile alleine. Hinzu kommen steigender Stress und Zeitdruck. Redakteur*innen sind heute Rechercheur*innen, Communitymanager*innen, Reporter*innen und Content-Lieferant*innen in Personalunion. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Befragten unter diesen Bedingungen einen Qualitätsverlust im Journalismus wahrnimmt. Wie gehen Journalisten*innen damit um?
Die Radionacht im Deutschlandfunk
Nachts allein auf Sendung
Nachrichten schlafen nicht. Um jederzeit aktuelle Informationen liefern zu können, braucht es Redakteure wie Sören Brinkmann, die arbeiten, wenn anderswo bereits alle Lichter aus sind. Die Nachtschicht im Deutschlandfunk zeigt die journalistische Routine in den Redaktionen, aber auch, wie schnell Krisen diese Routinen einer Belastungsprobe unterziehen.
Burnout und Ausstieg
In der OBS-Studie geben zwei Drittel der Journalist*innen an mehrmals im Jahr darüber nachzudenken aus ihrem Beruf auszusteigen, die Jüngeren denken noch häufiger daran aufzuhören als die Älteren. Viele von ihnen klagen über beruflichen Stress und psychische Belastungen. Ein Burnout stellt im Journalismus mittlerweile ein erhebliches Berufsrisiko dar. Problematisch ist, dass die Führungsetagen der Redaktionen das Arbeitspensum und die schlechte Bezahlung im Journalismus romantisieren. „Man muss für den Journalismus eine Leidenschaft haben!“, sagt die Chefredakteurin der Deutschen Welle Manuela Kasper-Claridge auf einem Panel des Global Media Forums 2022 in Bonn. Sie selbst habe während ihrer Anfänge im Journalismus nachts noch zusätzlich als Taxifahrerin gearbeitet, um Geld zu verdienen. Der Verzicht gehöre zum Journalismus dazu.
„Auf einmal sind wir Kriegsreporter.“
Berichterstattung in der Ukraine
Wie wichtig unabhängiger Journalismus ist, sieht man am russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Angelina Kariakina ist die Chefin des ukrainischen öffentlich-rechtlichen Senders Suspilne. Seit Beginn des Krieges sind sie und ihre Redaktion mit völlig neuen Anforderungen an ihre Arbeit konfrontiert. Wie Angelina Kariakina den Beginn des Krieges erlebt hat und wie ihre Redaktion unter widrigen Umständen eine qualitative Berichterstattung gewährleistet, könnt ihr hier anhören.
Wie kann es besser werden?
„Du musst deinen Stress irgendwie kommunizieren. Entweder mit deinem Team oder einem Spezialisten. Nimm dir die Zeit zu reflektieren oder auch mal gar nichts zu tun.“, so Angelina Kariakina über den Umgang mit psychischen Belastungen, die die journalistische Arbeit in Krisenzeiten verursacht. Die Lösung für die Probleme, die die digitale Transformation des Journalismus mit sich bringt, wird nicht vom Himmel fallen. Die Anforderungen werden nicht schrumpfen und es wird auch nicht auf magische Weise mehr Geld zu Verfügung stehen. Auf individueller Ebene können Journalist*innen an ihrer Resilienz arbeiten und Selbstschutzkonzepte entwickeln, die ihnen helfen die steigenden Belastungen zu bewältigen. Aber auch auf kollektiver Ebene sollten Journalist*innen füreinander einstehen. Sei es durch die Solidarität innerhalb der Redaktionen oder indem sie sich in Gewerkschaften wie dem Deutschen Journalisten-Verband organisieren und engagieren.
Der Zugang zu qualitativ hochwertiger Berichterstattung war nie so einfach wie heute. Es wäre traurig, wenn diejenigen, die diese Berichterstattung gewährleisten, dabei auf der Strecke blieben.