Von Jana Brocke, Marla Heinemann und Nisa Tunc
Jede dritte Frau weltweit ist Opfer von häuslicher Gewalt, aber nur jedes zehnte Opfer holt sich Hilfe. Während der Corona-Pandemie sind die Zahlen gestiegen. Trotzdem wird häusliche Gewalt nach wie vor oft tabuisiert und selten angesprochen.
Im Jahr 2020 waren insgesamt 158.477 Frauen in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen verzeichnet die meisten Fälle. Folgende Grafik veranschaulicht die Lage in Deutschland:
Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg während der Corona-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent an. Allerdings holten sich weniger der betroffenen Frauen Hilfe. Gründe dafür sind, dass der Partner mehr zu Hause ist, sich Beratungsstellen im Homeoffice befinden und keine Online-Angebote zur Verfügung stehen oder Zugänge zum Hilfesystem erschwert werden.
Auch Jenny Schmetzer war eineinhalb Jahre Betroffene. 2011 geriet sie in die Spirale der häuslichen Gewalt. Damals wechselte sie ihre Arbeitsstelle und ihr Vorgesetzter begann nach kurzer Zeit ein Auge auf sie zu werfen. Es folgten nette Gesten und auch Jenny verliebte sich. Durch seine charmante Art, den liebevollen Umgang mit ihrer Tochter und seine vermeintliche Liebe zu Jenny, schien er der perfekte Mann zu sein. Doch was anfing wie im Film, endete in ihrer persönlichen Hölle. Erniedrigungen, Schläge und Vergewaltigungen wurden zu Jennys Alltag.
Häusliche Gewalt kann viele Formen haben. Sie äußert sich nicht nur durch körperliche oder sexuelle Übergriffe, sondern auch durch Beleidigungen, Demütigungen, Drohungen und Kontrolle. Jenny litt sowohl unter körperlicher als auch psychischer Gewalt. Die unten aufgeführte Statistik verdeutlicht die Ausmaße von häuslicher Gewalt in Deutschland:
Jennys damaliger Lebensgefährte wollte einen schönen Abend mit ihr verbringen, doch dieser verlief anders als geplant. Sie war müde und erschöpft vom Tag und teilte dies ihrem Lebensgefährten mit.
“In dem Moment sprang er auf, packte mich an der Gurgel und knallte mich an die Küche.”
Er hielt sie am Hals fest und drohte mit der Faust vor ihrem Gesicht. Sie befand sich in einer Schockstarre. Nur ein einziger Gedanke schoss ihr durch den Kopf – “Hoffentlich wird meine Tochter nicht wach”. Er war aggressiv und brüllte sie an.
“Ich habe noch nie in so hasserfüllte Augen geschaut!”
Jenny war regungslos und wusste keinen Ausweg aus der Situation. Am Tag danach nahm sie ihre Tochter, ging zu einer Freundin und blieb ein paar Tage dort. Als ihr damaliger Lebensgefährte sie zu einer Rom Reise einlud, ließ sie sich auf ihn ein und gab ihm noch eine Chance. Er versprach ihr sich zu bessern und erklärte er wüsse nicht, was in ihn gefahren sei.
Laut Dr. Elisabeth Kaiser, Psychologin und Traumaspezialistin, sind die Motive der häuslichen Gewalt oft ähnlich. “Tätermänner sind schillernde Persönlichkeiten. Sie sind intensiv, dramatisch und bieten eine Verehrung, die kennt man gar nicht.”
“Die Ursachen [für häusliche Gewalt] können sehr unterschiedlich sein”, so Stefanie Seppelt, Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Frauenberatungsstelle im Märkischen Kreis. Psychische Störungen (oft narzisstische Persönlichkeitsstörungen), antisoziale Störungen, Traumafolgestörungen mit gesteigertem Aggressionsverhalten, Sucht- und/oder Alkoholproblematiken sowie kulturell geprägte Frauenbilder seien mögliche Auslöser.
Viele Frauen suchen die Schuld bei sich. Dies war bei Jenny anders. Sie habe sich nie schuldig gefühlt. Damit stellt sie allerdings eher die Ausnahme dar, denn fast alle Betroffene fühlen sich “gewissermaßen mitschuldig, wenn auch nicht immer für die Gewalt, aber zumindest dafür, dass sie das immer wieder mitmachen und aushalten”, so Seppelt.

Bevor Jenny Betroffene wurde, fragte sie sich, weshalb Frauen sich keine Hilfe suchen. Doch als sie selbst in die Spirale der häuslichen Gewalt geriet, begriff sie, wie ausweglos die Situation erscheint und wie schwer es ist, sich Hilfe zu holen. Dies liegt nicht an etwa fehlenden Hilfsangeboten, denn davon gibt es genug. Die Abhängigkeit der Frauen zum Partner überwiegt – sei es finanziell, emotional oder psychisch.
“Blaue Flecken, Knochenbrüche und Prellungen verheilen, aber was verbal in dich reingeprügelt wird, ist wirklich tiefgehend.”
Laut Jenny zieht die psychische Gewalt deutlich schlimmere Schäden nach sich als die Körperliche. Umso wichtiger ist es, sich professionelle Hilfe zu holen. Als ihr damaliger Partner morgens versuchte mit ihr als Beifahrerin einen Autounfall zu verursachen, wurde ihr bewusst, dass sie handeln muss. “Da war mir vollkommen klar, wenn ich heute nicht gehe, dann werde ich den nächsten Tag nicht erleben.” Sie rief Freunde an und bat diese, sich und ihre Tochter schnellstmöglich abzuholen.
Nach eineinhalb Jahren Beziehung schaffte Jenny den Absprung und begab sich später zur Aufarbeitung des Erlebten in psychologische Behandlung.
Sie hat im Folgenden eine kleine Videobotschaft vorbereitet:
Trotz Beanspruchung von Hilfe kämpft sie heute noch mit den Folgeschäden. Diese werden in alltäglichen Situationen hervorgerufen.
Hilfe in Anspruch zu nehmen ist wichtig, um Folgeschäden zu reduzieren, auch wenn diese nicht immer vermieden werden können. Langfristige Folgen können von einem negativ geprägten Selbstbild, über Bindungsschwierigkeiten, Depressionen und Essstörungen, bis hin zu selbstzerstörerischem Verhalten und Suizidalität reichen. Die folgende Grafik zeigt, wer in Fällen häuslicher Gewalt hilft:

Auch Jenny bietet Betroffenen ihre Hilfe an. Man kann sie unter anderem über ihren Instagram Account @jenny_schmetzer oder über die E-Mail-Adresse post@jenny-schmetzer.de erreichen.
Heute geht es Jenny gut. Noch immer geht sie zum Psychologen, wenn sie Hilfe benötigt. Ein neuer Job und eine neue Wohnung verhalfen ihr zu einem Neustart. Inzwischen ist sie glücklich verheiratet.
Jenny konnte der häuslichen Gewalt entkommen – doch leider gelingt das nicht allen Betroffenen. Ein Grund dafür ist die Tabuisierung des Themas in der Gesellschaft. Viele Menschen schauen weg, wenn sie im Umfeld häusliche Gewalt beobachten. Auch Jenny berichtete von solchen Erfahrungen. Stefanie Seppelt äußert sich dazu folgendermaßen: “[Man muss] häusliche Gewalt öffentlich und gesellschaftlich in den Fokus nehmen. Gewalt ist keine Privatsache, sondern eine Straftat! Die Thematik muss aus der privaten Tabuzone, damit Frauen sich anvertrauen können, ohne sich schämen zu müssen.”
Das folgende Video des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend leistet einen ersten Beitrag dazu, häusliche Gewalt zu enttabuisieren. Es macht darauf aufmerksam, dass man die Augen vor dem Thema nicht verschließen darf und JEDER HELFEN KANN.