Mehr als hetero

Young, wild and free – Gen Z hat schon längst erkannt, dass es mehr Optionen gibt als Heteronormativität. Die Gesellschaft wird immer offener. Braucht es heutzutage noch ein Coming Out?

Das Handy vibriert im Sekundentakt. Mit jeder Nachricht wird Becks Grinsen im Gesicht breiter. Sie tippt auf ihrem Bildschirm herum. Neben ihr steht ihre Mutter an der Küchentheke. Wer ist denn der Glückliche?  Doch Becks stellt klar: Es geht um ein Mädchen, das sie gerade kennenlernt. Nur wenige Wochen später küsst Becks sie das erste Mal: „Es war so viel intensiver als mit meinen Ex-Freunden.“  

Gen Z ist die queerste aller Generationen. Das stellt auch das Markt- und Meinungsinstitut Ipsos fest. Immer mehr junge Menschen stehen zu ihrer Sexualität. Stichwort: Sexuelle Vielfalt. Homosexuell, bisexuell, pansexuell, asexuell und viele weitere Labels bieten der Jugend das Gefühl von Zugehörigkeit. Die Stimmen der jungen Generation werden immer lauter und ermutigen Menschen, sich selbst zu entfalten. Auch Becks steht mit ihrer Beziehung in der Öffentlichkeit. Die 23-jährige Sängerin und Tiktokerin ist lesbisch und fungiert als Sprachrohr der Generation Z. Sowohl in ihrer Musik als auch in ihren Videos bekennt sie sich zu ihrer Sexualität und ihrem Aussehen. Sie trägt Baggy Clothes, hat ihre Haare abrasiert und ist tätowiert. Einige, gerade auf sozialen Netzwerken, empfinden ihr Aussehen und ihre Beziehung zu einer Frau als Indiz dafür, dass sie ein Junge sei. Darüber kann sie nur lachen. Becks ist eine Frau, die eine Frau liebt. Gemerkt hat sie das zwar schon früh, doch erst mit 18 hatte sie ihr offizielles Coming Out. Ihre Eltern reagierten entspannt, sie konnte auf ihre Unterstützung zählen.

Die Outings bei Jugendlichen nehmen zu. 2021 hält eine Studie der APA (American Psychological Association), ein Fachverband für Psychologie, fest, dass besonders Jungen im Vergleich zu 2005 häufiger zu ihrer sexuellen Orientierung stehen. Mehr als doppelt so viele junge Männer, knapp 60 Prozent, outen sich als queer. Doch nicht alle haben dasselbe Glück wie Becks.   

Hilfe bietet das Jugendzentrum KUSS41, das der queeren Community einen Ort zum Austausch und zur Beratung bereitstellt. Seit 2010 können Jugendliche die dort arbeitenden Sozialarbeiter:innen in der Frankfurter Innenstadt aufsuchen. Alisia Weidinger ist eine davon. Gerade die Corona Zeiten erschweren ihre Arbeit mit den Jugendlichen, trotzdem werde das Angebot von der breiten Masse angenommen.

Junge Menschen aus Limburg, Marburg oder Mannheim nähmen den Weg auf sich, um zum Treff zu kommen. „Die neue Generation ist sehr politisch und ich finde es beeindruckend, wie kritisch sich Jugendliche mit Themen wie Diskriminierung, mentale Gesundheit, Geschlechteridentitäten und Sexualität auseinandersetzen“, sagt Weidinger. Es sei nicht unbedingt so, dass die Menschen queerer seien als früher, sondern dass ein Wandel in der Gesellschaft stattfindet, der es jungen Leuten erlaubt, ihre Bedürfnisse auszuleben. Netflix Serien, die queere Charaktere zeigen, aber auch die Ehe für alle seien entscheidende Veränderungen, die sexuelle Vielfalt erlauben. Außerdem habe die Offenheit der Eltern zugenommen.  

Eine YouGov-Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass 49 Prozent der Befragten bei einem homo/bisexuellen Outing eines Familienmitglieds „sehr unterstützend“ wären und nur 7 Prozent „überhaupt nicht unterstützend“. Auch Becks schätzte sich glücklich von ihren Eltern ohne Zögern akzeptiert zu werden. Ihre Mutter sei selbst bisexuell. Doch auch Becks machte schlechte Erfahrungen. Gerade in der Kleinstadt, in der sie aufwuchs, seien nicht alle Jugendliche so aufgeklärt, wie man es der Gen Z nachsagt. Sie sieht diese Generation zweigeteilt: Zwar gäbe es viele, die sich informieren und auch aktiv Aufklärung verbreiten, doch es gäbe immer noch einen Teil, der alte Normen nicht hinterfragt und denen es egal sei, was um sie herum passiert. „Ich habe Freunde verloren, mit denen ich aufgewachsen bin, die mich seit sechs Jahren kannten“, sagt Becks.   

Kein Coming Out sei eine Idealvorstellung, die vielleicht in einigen Jahren realisiert werden könne. Heute könne man nicht davon ausgehen, dass man ausschließlich auf Akzeptanz stieße. Auch Weidinger berichtet von vielen Fällen, in denen Jugendliche bedrohliche Erfahrungen sammelten, nachdem sie sich geoutet hatten. Das JUZ dient als Safe Space, gerade für gewaltbedrohte schutzsuchende Jugendliche. „Das Ziel ist es, dass es Einrichtungen wie unsere nicht mehr geben muss“, wünscht sich Weidinger. Die Gesellschaft sei zwar auf einem guten Weg und Gen Z treibe die Entwicklungen an, doch das Coming Out bleibe ein schwieriger Schritt im Leben vieler. Die damit verbundenen Ängste seien unbeschreiblich. Gewalt, Drohungen und Ablehnung sind keine unüblichen Reaktionen auf Outings. Was fehlt in der Gesellschaft noch, um diese Form von Intoleranz zu überwinden? Becks Antwort darauf ist eindeutig: „Die Menschen müssen einfach ihren Stock aus dem Arsch ziehen.“  

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