Vom beinharten Chauvi zum feministischen Softi. In der Generation Z brechen Männer immer öfter selbstbestimmt aus den festen Rollenbildern aus und erhalten dafür Zuspruch. Gerade in Zeiten von Frauenbewegungen wie #metoo ist die Rolle des Mannes so volatil, wie noch nie zuvor.
Die Maschinen surren, Scheren klackern und im Hintergrund läuft leise Deutschrap. Mit dieser Soundkulisse wird Brandon Nashington jeden Mittwoch begrüßt. Als Männermodel muss er sich regelmäßig pflegen. Sein Friseur begrüßt ihn herzlich und fragt: „Wie immer?“ Damit meint er die Routine, bestehend aus Haare schneiden, Bart konturieren und Augenbrauen zupfen. Dabei fällt Brandon mit seinem so häufigen Rundumauftrag überhaupt nicht auf. Früher sah das anders aus.
Früher waren Männer noch echte Kerle mit Haaren auf dem Bauch und Rücken. Zu dieser Zeit wurden Emotionen von Männern schlichtweg als Mythos abgestempelt und Testosteron war das goldene Ticket zum Erfolg.
Mit der Emanzipation der Frau erkannten Männer das erste Mal die Misere, Beruf und Kinder nicht vereinigen zu können. Die Folge? Ehemänner entwickelten sich von Alleinversorgern hin zu Partnern, die ihre Ehefrauen in Entscheidungen einbezogen.

2007 wurde die bezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber von der Bundesregierung ermöglicht. Eine Entlastung, die zögerlich angenommen wurde. 2011 haben sich gerade mal elf Prozent der Männer in Elternzeit begeben. 2021 waren es immerhin 25 Prozent. Immer mehr Männern ist es wichtig geworden, Zeit mit den Neugeborenen zu verbringen, allerdings dennoch bei weitem nicht allen.
Im Oktober 2021 twitterte Joe Lonsdale, ein 39-jähriger US Milliardär, der sein Geld hauptsächlich in der Technologiebranche verdient, dass jeder, der eine wichtige Position über sechs Monate für ein Neugeborenes verlässt, ein Verlierer sei.

„Das ist eine nicht selten beobachtete Gegenbewegung bei jungen Männern“, sagt Stephanie Kremer, eine Sozialpädagogin, die in einem Jugendzentrum im Umkreis von Frankfurt am Main arbeitet. „Manche Männer schießen sich so auf veraltete Stereotype ein, dass sie keinen Raum mehr für Andersdenkende lassen und somit öfters in Konflikte geraten.“
Was sie wohl mit „veralteten Stereotypen“ meint?
Wahrscheinlich das Gehabe ausgedienter Vorbilder wie James Bond. Die Kunstfigur war vor 40 Jahren ein behaarter, rauchender, frauennötigender Macho par excellence, der gerne mal einen geschüttelten Martini trank. Aber auch er musste mit dem Strom schwimmen.
Heutzutage stellt er einen in die Jahre gekommenen, verständnisvollen Mann mit der Lizenz zum Töten dar. Bei seinen Missionen wird er dabei von einem deutlich jüngeren Team, bestehend aus People of Colour und Mitgliedern der LGBTQ+ Community unterstützt. Die Titelmelodie wird auch nicht mehr von der damaligen „Sex-Bombe“ Madonna eingesungen, sondern von einem jungen, emotional aufgeladenen Mädchen mit grün gefärbten Haaren, das öfter in locker sitzenden Klamotten abgelichtet wird.
Selbst in der Modebranche sind die veralteten Stereotype kaum noch zu sehen. „Sogar nicht erwünscht“, bestätigt Brandon. Bei der Frankfurter Fashion Week hat er weniger muskulöse, dafür gepflegtere und sensiblere Männer getroffen. „Von gepiercten Nasenlöchern über lackierte Fingernägel bis hin zu getönter Tagescreme habe ich dort alles gesehen“, sagt er.
Aber Make-Up gehört nicht erst seit gestern in den Kulturbeutel eines Mannes. Anti-Aging Cremes, Gesichtsmasken mit Hyaluronsäure oder Zangen um die Wimpern zu formen gehören heute fast überall zum Standardrepertoire. In betont maskulinen Aufmachungen stehen die Kosmetikprodukte prominent in jedem Drogeriemarkt. Prognosen der Market Research Institution gehen davon aus, dass 2022 der globale Markt auf eine Rekordsumme von 80 Milliarden US-Dollar steigen wird. Man(n) pflegt sich also mehr denn je.
Aber woher kommt der Sinneswandel?
Joshua Kehlitz, ein Streetworker, der zusammen mit der Sozialpädagogin arbeitet, beschreibt es so: „Viele Jungs haben sich den eigenen Vater nicht mehr als Vorbild genommen, sondern fremde Menschen aus dem Internet, mit denen sie sich mehr identifizieren können.“
Vermittelt das Internet noch die richtigen Werte?
Eine in Österreich durchgeführte Studie aus dem Jahr 2021 ergab, dass 36 Prozent der Befragten es am wichtigsten fanden, dass ein Mann sportlich ist und Kraft ausstrahlt. 35 Prozent fanden es wichtiger, dass er feinfühlig und sensibel ist.
Werden die veralteten Werte langsam aber sicher von neuen Werten abgelöst, oder aber repräsentiert das Ergebnis der Umfrage die jahrzehntelange Zerklüftung der Gräben zwischen konservativ und liberal? Dort, wo die eine Seite der Meinung ist, dass die andere Seite immer öfter ins vermeintlich Extreme abdriftet?
Für Brandon allerdings steht das Ziel fest. Aufgrund seiner oft angefragten Modelkartei von diversen Firmen möchte er weiter in der Modebranche tätig bleiben. „Ich bin dankbar für das Männerbild wie es aktuell ist. Ohne die Veränderung könnte ich mich nicht so ausleben, wie ich es aktuell tue. Und so fühle ich mich am freiesten.”