Grünes Licht für Selbstbestimmung?

Diskriminierend und entmenschlichend. So wird das Transsexuellengesetz (TSG) von Kritiker:innen beschrieben. Nun soll es abgeschafft werden, doch welche Folgen hat die Entscheidung für Trans-Menschen und warum halten viele Politiker:innen weiter daran fest? 

Stoisch sitzt die Bundestagsabgeordnete und Trans-Frau Tessa Ganserer im Plenarsaal, während ihr vorne am Rednerpult ihre Identität abgesprochen wird. In der Debatte zum Internationalen Frauentag spricht die Rednerin ihre Kollegin wiederholt mit ihrem abgelegten Namen, dem sogenannten „Deadname“ an und bezeichnet sie als Mann. Der Grund: Ganserer hat bisher keine Namens- und Personenstandsänderung durchgeführt und hat es unter den Bedingungen des TSG auch nicht vor.Im Mai 2021 scheiterte die Abschaffung des umstrittenen Gesetzes noch. Dieses erfordert unter anderem die Diagnose des „Transsexualismus“, einem veralteten Begriff, und behandelt die Geschlechtsidentität wie eine Art Krankheit. Unter anderem halten die Union und SPD an der aktuellen Rechtslage fest. 

Andrea Lindholz, die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, begründet diese Entscheidung mit dem Fehlen „gangbarer Reformvorschläge.“ Sie sehe im TSG ebenfalls Reformbedarf, halte aber den in den Vorschlägen von FDP und Grünen vorgesehenen Selbstbestimmungsbegriff für überzogen.

Unter der Ampelkoalition sollen nun, so der Queerbeauftragte Sven Lehmann, noch vor der Sommerpause die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes erarbeitet werden. Eine Änderung des Namens und Personenstands soll laut Koalitionsvertrag dann durch eine Selbstauskunft möglich sein.

Bisher sind dafür zwei unabhängige Gutachten erforderlich. Die Kosten dafür müssen die Antragsteller:innen selbst tragen. 

„Ich glaube, ich habe damals 1200€ dafür bezahlt, dass ich meinen Namen und mein Geschlecht ändern konnte“, erzählt Samu.

Der 21-Jährige leitet die Aschaffenburger Selbsthilfegruppe Trans-Ident. Nach seinem Trans-Outing verbringt er zwei Jahre in Therapie, bis er mit 18 den Antrag auf Personenstandsänderung beim Amtsgericht stellt. Als ersten Gutachter führt Samu seinen Therapeuten an, den zweiten wählt das Amtsgericht Bamberg.

Dass solche Gutachten verlangt werden, steht neben den Kosten auch aus anderen Gründen in der Kritik. Nach Angaben der Berliner Humboldt-Universität seien die gestellten Fragen oft sehr intim und diskriminierend. Antragsteller:innen würden nach ihrem Sexualleben und Masturbationsverhalten gefragt. Auch Kleidung, die nicht mit den stereotypischen Geschlechterrollen übereinstimme, könne angesprochen werden. Zudem seien Fälle bekannt, in denen Gutachter:innen zum Ausziehen von Kleidungsstücken aufgefordert haben. Die Antragsteller:innen seien vor übergriffigem Verhalten dieser Art nicht ausreichend geschützt und können sich dagegen auch kaum wehren. 

Samu selbst sei nicht mit Fragen dieser Art konfrontiert gewesen, habe allerdings einen Intelligenztest machen müssen, dessen Relevanz ihm bis heute unklar bleibe. 

Für nonbinäre Menschen, also Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, stellen die Gutachten noch ein weiteres Problem dar. Viele Gutachter erkennen Identitäten, die vom binären System aus Mann und Frau abweichen, nicht an.

„Das macht es für nonbinäre Menschen nochmal um einiges schwieriger, weil man rausfinden muss, welche Psycholog:innen überhaupt glauben, dass sie existieren,“  sagt Eden.

Die 16-Jährige ist einer der Menschen, deren Identität von der aktuellen Rechtslage nicht anerkannt wird. Zwar existiert die Geschlechtsangabe „divers“, diese ist aber intergeschlechtlichen Menschen, die biologisch weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, vorbehalten.  

Auch im Bereich der geschlechtsangleichenden Operationen seien nonbinäre Identitäten nicht ausreichend berücksichtigt. So verlangen zum Beispiel viele Krankenkassen  laut dem Sana Krankenhaus Gerresheim, das geschlechtsangleichende Operationen anbietet, eine mindesten sechsmonatige Hormontherapie mit Testosteron. Sonst werden die Kosten für eine Mastektomie, eine Operation, die Trans-Männern und manchen nonbinären Menschen zu einer flachen Brust verhelfen soll, nicht übernommen. Diese Forderung kann nonbinären Menschen schaden, denn der Wunsch nach einer Mastektomie bedeutet nicht immer den Wunsch nach einer tiefen Stimme oder anderen durch Testosteron verursachten Veränderungen. Die dazu angefragten Krankenkassen gaben dazu keine eindeutigen Antworten.

„Es ist traurig zu wissen, wer man ist, wenn ein Großteil der Gesellschaft und der Politik mir meine Existenz abspricht“, erzählt Eden.

Von der Abschaffung des TSG erhofft dey sich mehr Inklusivität, sowohl für binäre als auch nonbinäre Trans-Menschen und auch einen einfacheren Zugang zu Personenstandsänderung und geschlechtsangleichenden Maßnahmen.

Auch Samu wünscht sich mehr Zugänglichkeit. Man solle sich bei der Geschlechtsangleichung Zeit lassen und sich über alle potenziellen Konsequenzen informieren. Für Volljährige solle der Weg aber erleichtert werden und nicht durch finanzielle Hürden wie die Kosten für die Gutachten eingeschränkt werden.

Noch ist unklar, wann das Selbstbestimmungsgesetz kommt. Trotzdem gibt es Menschen wie Tessa Ganserer die Hoffnung, bald auch ohne invasive Fragen und hohe Kosten ein normales Leben führen zu können.

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