Börse in der Hosentasche

Anlagetipps auf Reddit, Finanz-Memes auf Instagram, der Broker auf dem Smartphone: Immer mehr junge Menschen beschäftigen sich intensiv mit Geldanlage. Was bewegt sie dazu? Und wie sieht die Finanzkultur der Generation Z aus? 

Die Kurslinie sinkt: Tagestief für Bitcoin. Auf den Bildschirmen sind soziale Netzwerke sowie Markt- und Handelsplattformen geöffnet. Ein Tweet könnte ausreichen, um alles zu ändern – und da ist er. Blitzschnell fliegen Hände über die Tastatur, tauschen eine Kryptowährung in die andere. Anspannung liegt in der Luft. Nach kurzem Ausharren: Tageshoch, Gewinne für den Trader. 

Solche Trades sind für den 19-jährigen Nils* zu einem lukrativen Nebenverdienst geworden. Seit fünf Jahren beschäftigt er sich bereits mit Kryptowährungen. Explodierende Kurse bescherten ihm ein kleines Vermögen. „Mit 16 so viel Geld gemacht zu haben, einfach durchs ‚liegen lassen‘, war schon etwas Besonderes“, erklärt der Junginvestor. Mittlerweile sei er erfahren genug, um auch das risikoreiche „Daytrading“ zu betreiben: Handel auf Basis kurzzeitiger Schwankungen, teils schon durch Tweets verursacht. 

Diese Leidenschaft nahm im Gaming-Bereich ihren Anfang. In seinem Lieblings-Shooter erlangte der Jugendliche für eine Hand voll digitaler Coins lediglich ein neues Charakter-Design. Nach und nach lockten dann die Wertsteigerung und das unkonventionelle Konzept. 

Der Reiz zum schnellen Geld sei damals zwar präsent gewesen, mittlerweile liege jedoch langfristige Sicherheit im Fokus: „Man kann sich damit etwas Zukunftssicheres aufbauen.“ Auch ein Investment in risikoärmere Aktiensparpläne zieht Nils in Betracht, das Trading sieht er mehr als Hobby. 

Junge Menschen wie Nils sind es, die immer häufiger das Börsenparkett betreten: Laut dem Deutschen Aktieninstitut (DAI) haben im Jahr 2020 ca. 600.000 unter 30-Jährige mit dem Aktieninvestment begonnen. Vermuteter Motivator ist die Pandemie: Durch gesunkene Konsumausgaben sei Kapital herangewachsen, die nötige Planungszeit werde in Homeoffice und Homeschooling frei. Auch Social Media gilt als Anreiz – die Reddit-Gruppe „r/wallstreetsbets“ verzeichnet beispielsweise mehr als elf Millionen Mitglieder. 

Entgegen dem Vorurteil der „jungen Börsenzocker:innen“ scheinen die Anleger:innen dabei rational zu agieren. Das Vermögensbarometer des Deutschen Sparkassen und Giroverbandes bestätigt, dass für 14-29-Jährige der Anlagefaktor „Sicherheit“ am Wichtigsten ist. Vor allem breit gefächerte Fondsparpläne liegen neben Aktien und Kryptos im Trend.  

Für diese ersten Investments sind in der Generation Z sogenannte „Neo“-Broker besonders beliebt. Die „neuen“ Broker in App-Form versprechen Handeln an der Börse gegen geringe Gebühren, von überall und zu jeder Zeit. Angelehnt an Mobilfunk-Anbieter auch im Flatrate-Format. Ein Produkt zugeschnitten auf die Digital Natives, für die ihr Smartphone fester Bestandteil des Alltags geworden ist.  

„Man bucht seine Fahrkarten mittlerweile in der DB App und nicht mehr am Schalter – warum sollte man das beim Investieren anders machen?“, meint Jacob Hetzel. Er ist Head of Distribution beim Finanzdienstleister Scalable Capital. Das Unternehmen stellt seit einigen Jahren eine Broker-App zur Verfügung. Hetzel geht bei der Verjüngung der Investor:innen von einem langfristigen Trend aus: „Die Kunden in der digitalen Vermögensverwaltung sind im Durchschnitt zehn Jahre älter, als die des Online-Brokers.“ Gründe für das gesteigerte Interesse am zuvor unliebsamen Thema Finanzen sieht Hetzel im Niedrigzins-Umfeld, der Inflation und sinkendem Vertrauen in die staatliche Rente. 

Doch welche Gefahren birgt der ständige Zugang zur Börse in der Hosentasche? Dr. Tobias Hayer, Suchtforscher an der Universität Bremen, sieht im App-gestützten Broker Parallelen zum Online-Glücksspiel: Ständige Verfügbarkeit, fehlende soziale Kontrolle durch Anonymität, die Verschleierung des Geldwerts durch bargeldloses Handeln –  all das stelle vor allem für junge Menschen ein Risiko dar. Für einen umfassenderen Verbraucherschutz gebe es allerdings zu wenige Studien. Bislang gilt nur: Selbstständiges Investieren ist erst mit 18 Jahren möglich. Auch offizielle Stellen wie die Glücksspielberatung der Diakonie verzeichnen kaum Fälle mit Börsenbezug. Dennoch meint Hayer: „Wenn ich ein Produkt mit potenziellen Suchtgefahren anbiete, dann habe ich auch eine gewisse soziale Verantwortung für mein Geschäftsmodell“. 

Problematisch ist auch die Unerfahrenheit der Nutzer:innen, wie eine Umfrage des deutschen Bankenverbandes zeigt: Unter den 14-24-Jährigen kennen nur 44 Prozent den essenziellen Begriff „Inflationsrate“. Expert:innen fordern deshalb mehr finanzielle Bildung an Schulen sowie Aufklärung über mögliche Schuldenfallen. 

Jacob Hetzel widerspricht der Kritik und verteidigt seinen Kundenstamm: „Ich denke, dass da jeder selbst erstmal gefordert ist. Man sieht, dass unsere Kunden relativ klug investieren. Die Hälfte der Gelder geht in breit diversifizierte ETF-Sparpläne.“ Zudem könne jeder in Eigenverantwortung die üppigen Informationsangebote des Unternehmens wahrnehmen. 

Nils jedenfalls scheint Bescheid zu wissen über Risiko und Potenzial der Märkte. Dennoch rät er seine Anlagemethoden keinem Einsteiger und mahnt vor der Suchtgefahr des Tradings. Informieren und langfristig denken sei die einzig richtige Devise. „Man muss sein Ego runterschlucken und immer im Hinterkopf haben, dass alles nach hinten losgehen kann.“

* Der Nachname wird auf Wunsch des Interviewten nicht genannt.

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